Zwei COVID-19-Patienten berichten: Zwischen Leben und Tod auf der Corona-Intensivstation

Zwei COVID-19-Patienten berichten: Zwischen Leben und Tod auf der Corona-Intensivstation

Zwei Patienten, zwei Standorte, aber ähnliche Geschichten. Zwei Patienten, die einen schweren COVID 19-Verlauf überstanden haben und nun um ihre Kondition, Ausdauer und um jeden Zentimeter auf dem Weg in das „alte“ Leben kämpfen. Zwei Patienten, die heute voller Dankbarkeit auf die letzten Monate zurück blicken.

Doch die Geschichte begann ganz anders. Es war Anfang März. Die Pandemiewelle stand noch am Beginn, die Berichterstattung in den Medien lief gerade erst an und von der viel beschworenen Risikogruppe der älteren Menschen mit Vorerkrankungen wähnten sich die 48- und  55-jährigen Patienten weit weg. Trotzdem kämpften die relativ jungen COVID 19-Patienten mit einem dramatischen Verlauf: Andreas W. am Universitätsklinikum Gießen und Heiko M. an der Zentralklinik Bad Berka.

Andreas W. nach zwei Wochen künstlichem Koma wieder zurück ins Leben. Noch muss die Atmung unterstützt und die Eigenatmung Stück für Stück trainiert werden.

 

 

 

Dr. Michael Weber, Chefarzt der Klinik für Pneumologie (li), Heiko M. und Dr. Torsten Schreiber, Chefarzt der Abteilung für Intensiv- und Notfallmedizin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Keiner hätte gedacht, dass es so schwer wird“

Andreas W. aus Sachsen hatte zunächst typische Erkältungssymptome, aber keinen Husten und kein Fieber. Erst als der Geschmacksinn nicht mehr funktionierte und „alles nur noch nach Eisen schmeckte“, war der 55-Jährige stutzig. „Sie sind mein Patient Nummer 1“, hatte der Hausarzt aus dem sächsischen Werdau zu Andreas W. gesagt, als er ihm  nach einem Corona-Test das Ergebnis mitteilte. Angst hat ihm das Ergebnis nicht gemacht. „Ich war fit, sportlich, nicht übergewichtig und hatte keinerlei nennenswerte Vorerkrankungen oder andere gesundheitliche Risiken.“

Doch es  verlief anders als erhofft. Innerhalb weniger Tage kamen ein starker Husten dazu und ein lethargischer Zustand. Seit vielen Jahren ist Andreas W. Vorstandsmitglied der Johanniter und seine Kollegen rieten ihm dringend, ins örtliche Krankenhaus zu gehen. Nur drei Stunden danach hatte sich sein Zustand so sehr verschlechtert, dass die Ärzte ihn ins künstliche Koma legten. Das Röntgenbild der Lunge hatte eine schwere COVID-19-Infektion bestätigt. Mit dem Rettungshubschrauber wurde er aus Sachsen zur Behandlung ans Universitätsklinikum Gießen verlegt. Hier auf der Intensivstation kämpften Ärzte und Pflegekräfte um sein Überleben.

Bei Heiko M. aus Königsee zeigten sich gleich die typischen Symptome einer COVID-19-Erkrankung: Anfang März 2020 litt er an Fieber und Appetitlosigkeit. 14 Tage blieb er zuhause, doch es wurde nicht besser. Der 48-jährige Ingenieur wurde ins Saalfelder Krankenhaus gebracht. Sein Zustand verschlechterte sich und Ende März brachte ihn ein Rettungswagen in die Zentralklinik Bad Berka, eines von zwei Level 1-Krankenhäusern in Mittelthüringen für COVID-19-Patienten mit einer Spezialstation und einer Spezial-Ambulanz.

„Das war hart, auch für die Familie zuhause“

Für Andreas W. war das Erwachen nach 14 Tagen Koma und dauerhafter Beatmung zunächst kein wirklicher Lichtblick: „Meine erste Wahrnehmung war, dass vermummte Menschen im Raum waren, deren Gesichter ich nicht sehen konnte. Ich sah an mir überall nur Schläuche, wusste nicht, wo ich war. Ich hatte dunkle Erinnerungen an schwere und belastende Träume während des Komas. Nach über vier Wochen auf der Intensivstation ging es dann auch psychisch wieder langsam bergauf: „Ich hatte einen sehr emphatischen Pfleger und auch die Ärzte haben mir immer wieder Mut gemacht, da kam auch dann die Zuversicht zurück“, sagt der heute  56-Jährige. Nun war es auch endlich wieder möglich, mit der Familie Kontakt aufzunehmen, Nachrichten zu schreiben und zu telefonieren. „Ich hatte ja fünf Wochen keinen einzigen Menschen gesehen, den ich kannte, das war hart auch für meine Familie zuhause.“

Heiko M. kämpfte noch länger: Sechs Wochen lang lag Heiko M. beatmet im künstlichen Koma. Noch heute findet er wenige Wort dafür: „Wenn ich daran denke, wie sich meine Familie gefühlt haben muss, diese langen Wochen zwischen Bangen und Hoffen. Sie haben diese Zeit bewusst erlebt, ich habe sie verschlafen.“

„Ein steiniger und mühsamer Weg zurück ins Leben“

Eine Dankeskarte hat Andreas W. an die behandelnden Ärzte und das Pflegeteam in Gießen geschickt, weil: „Ich mich hier gut aufgehoben gefühlt habe. Alle, die mich begleitet haben, waren sehr professionell aber eben auch zugewandt und haben sich Zeit genommen.“ Nach über fünf Wochen in der Uniklinik Gießen ging es für Andreas W. in die stationäre Reha und anschließend in die ambulante Reha.

Für beide Patienten hat die Zeit im Koma zu einem umfassenden Muskelschwund geführt, der lange nachwirkt. Zu lange gab es keine Bewegung. Das Atmen wieder lernen, das Schlucken, das Laufen, das Bewegen insgesamt – das alles stand auf dem Programm. Es sei noch heute anstrengend, alles neu zu lernen, zum Beispiel einen Löffel zu halten. Doch sie wollen vorankommen, sich von den „netten Physiotherapeutinnen quälen“ lassen.

Auch die Augen von Heiko M. aus Königsee strahlen nun wieder. Schmal und doch sehr optimistisch blickt er zurück. Er kann wieder gut sprechen und er ist froh: „Es war kritisch, nur eine Wimpernbreite in die richtige Richtung. Ich hatte und habe so viel Glück“, beschreibt er dankbar. Wenn er von seiner Familie, seiner Frau, seinen Kindern, seinen Eltern erzählt, verfliegt auch die Schwere. „Ich freue mich so auf mein Zuhause. Ich muss nun meine Muskeln aufbauen und nächstes Jahr kann ich wieder Fahrrad fahren, im Garten arbeiten, Brennholz machen“, lacht er.

„Man muss es annehmen und nicht nur als Katastrophe sehen“

All das zu verarbeiten, wird noch lange dauern, das ist dem heute 56-jährigen Andreas W. aus Sachsen wohl bewusst, aber eines ist ihm dabei ganz wichtig: „Man muss die Chancen darin erkennen und nutzen. Es hat mein Leben auch reicher gemacht. Vieles relativiert sich durch diese Erfahrung. In vielerlei Hinsicht war ich vorher fremdbestimmt durch Termine und allerlei Verpflichtungen, jetzt ich bin freier geworden in meinen Entscheidungen und nehme mir auch die Auszeiten, die ich brauche.“

Gesundheitlich ist der Familienvater auf einem guten Weg, das hat auch die Nachuntersuchung Ende Juni in Gießen ergeben. „Ich bin sehr gerne dorthin gefahren und habe mich im Klinikum einfach wohl gefühlt. Nach all dem, was ich dort durchgemacht habe, kam mir das eigentlich etwas merkwürdig vor, aber eine befreundete Seelsorgerin hat es dann im Gespräch auf den Punkt gebracht: Das erkläre sich doch leicht, sagte sie, schließlich sei ich ja in meine zweite Geburtsklinik gefahren.“

Heiko M. blickt ebenfalls auf den Weg zurück, in dem er manch tiefes Tal durchqueren musste. Wo er sich infiziert hat, weiß er nicht. Er habe sich an alle Regeln gehalten. Doch das herauszufinden, ist für ihn nicht so wichtig. „Nächstes Jahr will ich ein großes Fest feiern. Dann stoße ich auf diesen zweiten Geburtstag an und dabei denke ich auch an die Ärzte, die Schwestern und Pfleger hier. Ich werde mich gern erinnern, vor allem an die aufmunternden Worte, die Freundlichkeit, den Enthusiasmus. An all die Situationen, die ich bewusst und vielleicht ja auch unbewusst im Koma erlebt habe“.