Der Typ-2-Diabetes ist heute eine der Hauptursachen für Herzinfarkt, Nierenversagen, Erblindung und Gliedmaßen-Amputation. Und die Zahl der Betroffenen steigt hierzulande rapide. Während in der deutschen Gesamtbevölkerung in den 1980er-Jahren eine Häufigkeit von ungefähr fünf Prozent vorlag, weisen Statistiken heute Werte von neun bis elf Prozent aus, bei älteren Patienten sind die Erkrankungszahlen noch deutlich höher. „Gerade im Hinblick auf eine alternde Gesellschaft ist die Erkrankung ein Problem, das uns noch massiv beschäftigen wird”, prognostiziert Professor Dr. med. Andreas Schäffler. Er ist Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechsel und Ernährungsmedizin. Im Gespräch erklärt der Arzt, was hinter Typ-2-Diabetes steckt, wie er behandelt wird – und warum die Patienten mittlerweile von der sogenannten personalisierten Medizin profitieren.
Typ-2-Diabetes ist eine weit verbreitete chronische Stoffwechsel-Erkrankung, deren Hauptmerkmal die gestörte Regulierung des Blutzuckerspiegels trotz eines normalen oder erhöhten Insulinspiegels ist. Folge ist eine chronisch erhöhte Blutzucker-Konzentration, die unbehandelt zu Schäden an Blutgefäßen und Nerven führen kann. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Begleit- und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenfunktionsstörungen oder Schädigungen der Netzhaut.
Die Wahrscheinlichkeit, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, nimmt bei Männern wie Frauen grundsätzlich mit dem Lebensalter und dem Körpergewicht zu. Eine Tatsache, die auch dazu führte, dass der Typ-2-Diabetes früher im Volksmund als „Alterszucker” bezeichnet wurde, wie Professor Andreas Schäffler ausführt. Aus eigener Erfahrung weiß er allerdings, dass die Ernährungsgewohnheiten und das daraus resultierende Übergewicht vieler Kinder und Jugendlicher längst dazu geführt haben, dass auch diese jungen Menschen immer häufiger unter der Krankheit leiden.
Krankheit wird oft nicht bemerkt
Das Tückische am Typ-2-Diabetes sei, sagt Schäffler, dass er oftmals über Jahre hinweg von den Betroffenen nicht bemerkt werde – weil die erhöhten Blutzuckerwerte an sich keine Schmerzen verursachen würden. Erst wenn diese deutlich steigen, die Erkrankung also fortschreitet, kommt es zu Symptomen, die der Patient bemerkt. Durch die verzögerte medizinische Diagnose sind zu diesem Zeitpunkt allerdings schon häufig Schäden an den Organen zu beklagen.
Dass die Krankheit von einem Arzt diagnostiziert werde, sei tatsächlich oftmals Zufall, sagt der Diabetes-Experte. So werde ein erhöhter Blutzuckerwert zum Beispiel im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung gemessen. Dass man tatsächlich an einem Typ-2-Diabetes leidet, macht sich zum Beispiel an plötzlich vermehrtem Durst bemerkbar. Also dann, wenn sich die Trinkmenge erhöht und man häufig Wasser lassen muss, etwa auch nachts.
Im schlimmsten Fall könne es zum Austrocknen des Patienten kommen, sagt Schäffler. Dieser sei in der Folge müde und nicht mehr leistungsfähig. Oftmals würden Personen, die am Typ-2-Diabetes leiden, auch erst einmal an Gewicht abnehmen. Und auch Infektionen der Haut und der Weichteilgewebe, Sehstörungen und Kopfschmerzen können auf die Krankheit hindeuten.
Diabetes-Screenings empfohlen
Wer sich regelmäßig sogenannten Diabetes-Screenings unterzieht, sich also auf einen erhöhten Blutzuckerwert untersuchen lässt, hat wenig zu befürchten, sagt der Arzt: „In den Frühstadien ist die Erkrankung exzellent therapierbar. Zu keiner Zeit hatten wir so viele therapeutische Möglichkeiten wie heute.”
Grundsätzlich fußt die Therapie mittlerweile auf mehreren Säulen. Die Basis ist immer eine sogenannte multi-dimensionale Behandlung, also eine, an der unterschiedliche Spezialisten beteiligt sind. Da gibt es zunächst einmal die sogenannte Krankheitsschulung durch Diabetes-Berater. Hier lernt man, mit der Erkrankung umzugehen. Darüber hinaus erhält der Patient eine Ernährungsberatung, die ihm gesundes Essen und Trinken anhand anschaulicher Beispiele näherbringt.
Weiterhin gibt es ein sportmedizinisches Programm, das die Klinik anbietet, oder das die Patienten in Eigenregie absolvieren, wie Schäffler sagt. Wesentlich sei außerdem noch psychologische Unterstützung, schlicht weil viele Patienten, die schon länger an Diabetes leiden, von Depressionen geplagt seien.
Chancen der personalisierten Medizin
Weil all diese Basismaßnahmen allerdings erst nach einer gewissen Zeit beginnen zu wirken, starte man gleichzeitig mit mindestens einer medikamentösen Therapieform, sagt der Arzt. Die Menge an Erkenntnissen der Forschung und die steigende Zahl erprobter Medikamente ermögliche mittlerweile eine sogenannte personalisierte Therapie.
Das bedeutet nicht weniger als: Der Typ-2-Diabetes wird nicht mehr bei allen Betroffenen gleich behandelt. Stattdessen können die Ärzte ihre unterschiedlichen Patienten auf eine sehr individuelle Art und Weise therapieren, also zum Beispiel unter Berücksichtigung von Alter, Gewicht, Organfunktionen, Unterzuckerungsrisiko und Co-Medikation. Diese individualisierte Therapieform erhöht den Behandlungserfolg und senkt die Nebenwirkungen.
Erfolgversprechend seien auch neue Gruppen von Medikamenten, die einerseits den Zucker behandeln, das Körpergewicht senken, gleichzeitig aber das Sterberisiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zurückgehen lassen, sagt Schäffler. Und es gibt noch mehr gute Nachrichten für Betroffene: Grundsätzlich, sagt der Arzt, hätten Patienten die Chance, den Typ-2-Diabetes tatsächlich wieder komplett verschwinden zu lassen.
Ziel: Lebensgewohnheiten umstellen
Und diese wachse immer dann, wenn es die Betroffenen schaffen würden, ihre Lebensgewohnheiten sehr früh im Krankheitsverlauf rapide umzustellen. Das bedeute meist eine komplette Änderung der eigenen Essgewohnheiten und eine daraus folgende signifikante Gewichtsabnahme.
Diejenigen, die erkennen, dass sie sich lange falsch ernährt und zu wenig bewegt haben, können es schaffen, innerhalb der ersten Jahre nach Ausbruch der Krankheit den Typ-2-Diabetes und auch alle für die Therapie nötigen Medikamente wieder loszuwerden. „Das schaffen einige wenige tatsächlich”, weiß Schäffler aus eigener Erfahrung. Es funktioniere allerdings nur, wenn der Diabetes nicht länger als drei bis fünf Jahre bestanden habe. Ansonsten, sagt der Arzt, komme es nämlich zu einer Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse.
Ihr Experte für Diabetes:
Prof. Dr. med. Andreas Schäffler
Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen