Krebstherapie: Tumorboards als Herzstück der Behandlungsplanung

Krebstherapie: Tumorboards als Herzstück der Behandlungsplanung

Die Technik der Ionenstrahltherapie bietet bei vielen Krebserkrankungen eine besonders schonende und hochpräzise Therapiemöglichkeit. Das Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum (MIT) am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) ist eines von zwei Zentren in Deutschland, das onkologischen Patienten die Möglichkeit neben einer Protonen- auch eine Schwerionenbestrahlung mit Kohlenstoff anbietet.

Herzstück der Behandlungsplanung sind die sogenannten Tumorboards, an denen Experten unterschiedlichster Fachrichtungen beteiligt sind.

Professor Dr. Sebastian Adeberg ist Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie des Partikeltherapiezentrum. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht er über den Sinn der Tumorboards, Photonen- und Protonen-Therapie – und die Einbindung der Patienten in den Prozess der Behandlungsplanung.

Herr Professor, wie werden heute Entscheidungen für Tumorpatienten in modernen Tumorzentren getroffen?

In der Regel stellen sich die Patienten in den Fachabteilungen vor, das sind häufig die chirurgischen, strahlentherapeutischen oder onkologischen Abteilungen. Wenn wir einen Fall detailliert aufgearbeitet und alle wichtigen Informationen zusammengetragen haben, stellen wir die Patienten in unseren interdisziplinären Tumorboards vor. Diese sind „entitätenspezifisch“, wie wir das nennen.

Was bedeutet das?

Das heißt, es gibt zum Beispiel ein Urologisches Board, ein Gynäkologisches Board, ein Neuro-Onkologisches Board, ein Thorax-Board, und so weiter. Dort sind alle Disziplinen vertreten, vom Chirurgen über den Strahlentherapeuten, bis hin zum Radiologen. Außerdem sind hier auch Pathologen und andere wichtige Disziplinen vertreten. Die genaue Zusammensetzung ist natürlich davon abhängig, wer alles für die Therapieentscheidung notwendig ist. Bei den interdisziplinären Boards sind die niedergelassenen Onkologen dabei, beim Gynäkologischen Board die umliegenden Gynäkologen, oder online zugeschaltete Niedergelassene und Zentren. Ziel ist es, dass wirklich alle, die mit einem konkreten Krankheitsfall Kontakt haben, auch in die Entscheidungsfindung involviert sind.

Wie läuft die Kommunikation dann ab?

Der Fall wird verlesen, und die Bilddaten werden präsentiert. Zum Schluss gibt es dann eine Therapieempfehlung, die von der Akut-Therapie bis über die Nachsorge definiert, was alles erfolgen muss und welche sogenannten Staging-Untersuchungen benötigt werden. Das ist sehr aufwendig, zeit- und ressourcenintensiv, aber extrem sinnvoll, um eine exzellente Versorgungsqualität zu erreichen. Tumorzentren wie das unsere könnten schlicht nicht existieren ohne diese zertifizierten Tumorboards.

Gibt es irgendwelche besonderen Tumorboards, die man hervorheben kann?

Als Leuchtturmprojekt kann ich das interdisziplinäre urologische Board nennen. Im Falle eines Prostata-Karzinoms, zum Beispiel, trifft der Patient hier einen Urologen, der ihn auch operieren würde, und einen Strahlentherapeuten, der ihn auch bestrahlen würde – und lässt sich von diesen eingehend beraten. Sinnvoll ist das auch deswegen, weil der Patient so nicht zwei Einzeltermine wahrnehmen muss und eine dezidierte Meinung von beiden bekommt.

Das gleiche Konzept gibt es auch für die sogenannte Lungensprechstunde. Wenn man einen Lungentumor hat, können der Thoraxchirurg und der Strahlentherapeut den Patienten also gemeinsam beraten. Darüber hinaus haben wir seit Kurzem ein interdisziplinäres Online-Board mit dem Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) Frankfurt, in dem wir Patienten, die für eine Partikeltherapie infrage kommen, in eine Online-Konferenz schalten. Hiermit können wir die Wege verkürzen und den Patienten den Weg zu uns nach Marburg bis zur Erstvorstellung zu ersparen.
Allen Patienten, die eine weitere Anreise haben, bieten wir im Hinblick auf die Partikeltherapie darüber hinaus auch eine Online-Sprechstunde zur Erstberatung an.

Wie würden Sie einem Patienten kurz beschreiben, warum die Tumorboards sinnvoll sind?

Sie bringen eine Interdisziplinarität in die Fallentscheidung, sodass der Patient davon ausgehen kann, dass alle Disziplinen ihren Teil dazu beigetragen haben und der Fall von allen Seiten beleuchtet wurde. Obwohl er also nicht in allen Abteilungen einzeln vorstellig werden musste, erhält er eine interdisziplinäre Empfehlung. Das heißt, den Patienten wird/werden letztlich die für sie beste Therapieoption/besten Therapieoptionen vorgelegt, für die sie sich dann entscheiden können – oder die sie mit uns direkt diskutieren können.

Seit wann gibt es diese Tumorboards?

Die interdisziplinären Tumor-Boards gibt es seit über zehn Jahren. Hinzugekommen sind immer mehr spezifische Boards. Das heißt, das interdisziplinäre Board ist aktuell noch ein Sammelbecken für alles, was nicht ganz entitätenspezifisch ist. Fakt ist, dass die Tumorboards immer größer und länger werden, und immer mehr Disziplinen daran teilnehmen. Im Moment sprechen wir also von einem Wachstumsprozess.

Wie viele Patientinnen und Patienten haben Sie ungefähr pro Jahr?

Für eine Bestrahlung kommen zu uns um die 2500 Personen pro Jahr. Dadurch dass wir mit der klassischen Photonentherapie als auch mit der Partikeltherapie überregionaler, nationaler und internationaler Versorger sind, haben wir ein Anfragemanagement für nationale Patienten und deren zuweisende Ärzte entwickelt, das diesen, sobald alle Unterlagen vorliegen, eine Antwort innerhalb von 48 Stunden zusichert. Bei den internationalen Patienten geht das Ganze über unser International Office.

Kommen wir zu Ihrem Marburger Ionenstrahltherapiezentrum. Was ist hier das Besondere?

Wir haben hier eine Anlage, die sehr präzise behandeln kann. Das ist immer dann sinnvoll, wenn man Tumoren an sehr herausfordernden anatomischen Lokalisationen, wie im Bereich der Schädelbasis, der Wirbelsäule oder des Beckens, hat. Weitere wichtige Aspekte sind die Schonung des gesunden Gewebes und Szenarien, in denen man die Strahlenbelastung gering halten muss. Dies rückt immer dann besonders in den Fokus, wenn man Kinder als Patienten hat, die ihre Nebenwirkungen, weil sie eine sehr gute Prognose haben, auf jeden Fall erleben werden. Die zweite Säule sind radioresistente Tumoren, also „nicht gut auf Radiotherapie ansprechende“ Tumoren, die man mit einer besseren biologischen Wirksamkeit behandeln kann.

Daneben gibt es ja weiterhin noch die klassische Photonentherapie. Welche Rolle spielt sie aktuell noch?

Die Photonentherapie hat in den vergangenen Jahren riesige Sprünge gemacht. Das heißt, hier haben wir mittlerweile einen exzellenten Standard. Aber herausfordernde Lokalisationen der Tumoren beschränken uns hier in der Dosis. Deswegen wenden wir hier Protonen an, mit denen man die Dosis im Tumor bestmöglich aufrechterhalten kann – und das umliegende Organe schont.

Wie lange dauert solch eine Therapie prinzipiell?

Der Therapiezeitraum variiert von Patient zu Patient. In der Regel sind zwischen 15 und 30 Behandlungen notwendig, sodass man zwischen 3 bis 6 Wochen werktäglich behandelt. Im Detail hängt dies aber vom Tumor ab. An einem Therapietag ist man ungefähr eine halbe Stunde in Behandlung. Die reine Bestrahlungszeit beläuft sich auf ungefähr 15 Minuten.

Ihr Experte für Strahlentherapie:
Professor Dr. Sebastian Adeberg
Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie des Partikeltherapiezentrum