Die Trigeminusneuralgie ist bei vielen Patienten eine schwerwiegende Erkrankung, auch wenn es sich „nur“ um eine sogenannte Schmerzerkrankung handelt.
„Wir sprechen hier von attackenartig auftretenden Gesichtsschmerzen, die ganz plötzlich, meist für wenige Sekunden, auftreten und dann gleich wieder verschwinden“, erklärt Privatdozent Dr. Albrecht Waschke die Leiden seiner Patienten. Er ist Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt. Im Bereich sogenannter minimalinvasiver Neurochirurgie mit endoskopischer Unterstützung ist sein Haus Vorreiter, besonders bei sensiblen Eingriffen rund um den Kopf.
Im Interview erzählt Dr. Waschke von einem Patienten, der jahrelang nicht die medizinische Hilfe erhalten hat, die seine Schmerzen lindern konnten. „Nach der Operation bei uns ging es ihm dann plötzlich gut. Das war für alle Beteiligten eine faszinierende Erfahrung“, erzählt der Arzt.
Die Redaktion des RHÖN-Gesundheitsblog hat mit PD Dr. Waschke über das Krankheitsbild, verschiedene Ausprägungen dessen und über die effektiven Möglichkeiten einer Behandlung gesprochen.
Herr Dr. Waschke, wo genau treten bei Patienten, die an Trigeminusneuralgie leiden, die Schmerzen auf?
Wahrgenommen werden sie im Bereich des sogenannten Trigeminusnervs, der unser menschliches Gesicht mit Sensibilität versorgt, also mit Gefühlsempfinden, und eben auch mit Schmerzempfinden. Diejenigen Patienten, die an Trigeminusneuralgie leiden, stört der Gesichtsschmerz oftmals Hunderte Male am Tag. Aus vielen Schilderungen weiß ich, dass die Situation für viele kaum mehr zu ertragen ist.
Wie muss man sich diesen Trigeminusnerv vorstellen?
Er hat drei wesentliche Äste, die quasi in unterschiedlichen „Etagen“ des Gesichts verlaufen: Der eine davon geht in die Stirn, der zweite in den Oberkiefer und der dritte in den Unterkiefer. Je nachdem welcher der Äste betroffen ist, nehmen die Patienten unterschiedliche Arten von Schmerz am Kopf wahr. Alltäglich auftretende Reize wie zum Beispiel ein Windhauch, Kälte, Hitze, Kauen, oder auch Zähneputzen genügen, um die Schmerzen hervorzurufen.
Wird man mit der Trigeminusneuralgie geboren, oder bekommt man sie irgendwann einfach?
Man bekommt sie. Um das vierzigste Lebensjahr herum sind Menschen meist zum ersten Mal von der Krankheit betroffen. Dabei unterscheiden wir zwischen der primären und der sekundären Trigeminusneuralgie. Bei den beschriebenen Gesichtsschmerzen, von denen manche Menschen irgendwann in ihrem Leben betroffen sind, handelt es sich um die primäre Form.
Wie entsteht diese primäre Form?
Die Ursache ist, dass dort, wo der Trigeminusnerv aus dem Hirnstamm heraus- und in die Schädelbasis eintritt, dieser von einem sogenannten Hirnbasis-Gefäß berührt wird. Solche Hirnbasis-Gefäße haben arteriellen Blutdruck, sie pulsieren also. Das kann dafür sorgen, dass der Trigeminusnerv an ebendieser Stelle einen Reiz bekommt. Und dieser verursacht diese höllischen Schmerzen.
Kann man sich erklären, weshalb erst Menschen im fortgeschrittenen Alter, und eben nicht zum Beispiel Kinder betroffen sind?
Grundsätzlich prägt sich dieser Gefäß-Nerven-Kontakt mit dem Alter stärker aus. Die Arteriosklerose, eine klassische Krankheit des Alters, sorgt zum Beispiel dafür, dass sich die Gehirnarterien immer weiter ausweiten – und damit dem Trigeminusnerv irgendwann gefährlich nahe kommen.
Worin unterscheidet sich die sekundäre Form der Krankheit von dieser primären?
Menschen, die von einer sekundären Trigeminusneuralgie betroffen sind, leiden häufig an einer anderen Art von Schmerzen. Es handelt sich oftmals um brennende Dauerschmerzen im Gesicht. Dabei geht es um differenzierte Krankheiten, die Auslöser sind, also die Entstehung einer Trigeminusneuralgie begünstigen. Bei Multipler Sklerose (MS) zum Beispiel leiden viele Patienten an einem Entzündungsherd im Bereich des Hirnstamms, der den Trigeminusnerv stören kann. Neben einer MS kann auch ein Tumor dazu führen, dass Probleme mit dem Trigeminusnerv auftreten.
Wie steht es um effektive Therapien?
Grundsätzlich profitieren sowohl Patienten mit einer primären als auch mit einer sekundären Trigeminusneuralgie von einer medikamentösen Therapie – und kommen in den meisten Fällen mit Medikamenten auch lange Zeit gut zurecht.
Es gibt allerdings mittlerweile auch eine Operation, die sich in manchen Fällen offenbar anbietet…
Da haben Sie Recht. Prinzipiell ist es jedoch ausreichend, Medikamente einzunehmen, wenn der Patient durch sie von seinen Schmerzen verlässlich befreit wird. Denn grundsätzlich muss man festhalten, dass der Trigeminusnerv selbst physisch ja nicht in Gefahr ist. Zeigt dies keine Wirkung, können wir auch eine Operation durchführen.
Sie würden also von einer Operation abraten?
Eine Operation ist immer dann sinnvoll, wenn der Patient nicht auf Medikamente anspricht, oder wenn man im Rahmen einer adäquaten Medikation keine Schmerzfreiheit erzielt. Wichtig ist zudem zuvor auszuschließen, dass die Person an der sekundären Variante der Krankheit leidet. Operativ in den Griff bekommen können wir nämlich nur den genannten physischen Nervenkontakt, den wir anhand eines MRT übrigens bildlich darstellen können.
Wie kann man sich die Operation im Detail vorstellen?
Den Trigeminusnerv können wir im Schädelinnern aufsuchen und ihn dann vom Gefäß lösen. Enorme Hilfe leistet uns auch die moderne Endoskopie, mit der wir zum Beispiel um Ecken herumschauen und so auch im Schädelinneren gut navigieren können. Dank modernster Technologie funktioniert dieser Eingriff minimalinvasiv, also ohne größere Verletzung von Gewebe.
Wie geht das vonstatten?
Wir öffnen nicht die Schädeldecke, sondern die Schädelbasis. Hinter dem Ohr bohren wir ein kleines Loch, etwa so groß wie eine Zwei-Euro-Münze. An der Schädelbasis entlang arbeiten wir uns dann im Schädelinneren bis zum Trigeminusnerv vor, den wir anschließend vom Gefäß trennen. Dazwischen legen wir eine Plombe aus Teflon oder ein Stück nicht löslicher Watte, die weitere Berührungen verhindert.
Kann bei der Operation etwas schief gehen?
Wenn man, wie wir hier in der Klinik, die Operation beherrscht, ist sie für den Patienten nicht gefährlich. Der Vollständigkeit halber muss man aber sagen, dass prinzipiell die Gefahr besteht, dass der Patient auf der Seite, auf der das Loch gebohrt wird, taub werden könnte, weil der Hörnerv dort verläuft. Das muss man natürlich ehrlich kommunizieren. Ich halte das Risiko aber, wie gesagt, für sehr überschaubar. Und in Anbetracht der Chance auf Schmerzfreiheit für den Patienten für vertretbar.
Bestehen demnach also insgesamt sehr gute Erfolgsaussichten?
Das Ergebnis der Operation ist oftmals wirklich phänomenal: Die Patienten wachen auf und stellen fest, dass sie keine Schmerzen mehr haben – und fallen einem gerne mal um den Hals.
Kann man die Chance auf „Heilung“ zahlenmäßig einordnen?
Wir können auf eine ca. 80-prozentige Erfolgschance verweisen. Das heißt, in der Mehrzahl der Fälle sind die Patienten nach der Operation ohne Medikamente schmerzfrei. Bei weiteren zehn bis 15 Prozent kann man von einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik sprechen. Weitere fünf Prozent, auch das gehört zur Wahrheit, profitieren nicht. In solchen Fällen sind dann andere Krankheiten Schuld an den Schmerzen.
Glauben Sie, dass die meisten Patienten, die an einer Trigeminusneuralgie leiden, mittlerweile medizinisch adäquat versorgt werden?
Die Kollegen aus der Neurologie diagnostizieren in der Regel sehr gut. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass deutschlandweit gesehen geschätzt einem Drittel unter ihnen allerdings noch nicht bekannt ist, dass es neben der medikamentösen Therapie auch diese recht schonende Operation gibt. Die zweite Hürde ist, dass MRT-Bilder manchmal falsch eingeschätzt werden. Sieht man sich die Bilder nicht genau genug an, kann man den Gefäß-Nerven-Kontakt, der ja Auslöser der Trigeminusneuralgie ist, nicht feststellen. Und dann kann natürlich auch keine passende Therapie eingeleitet werden. Vielleicht wäre es sinnvoll, Patienten mit derartigen Symptomen früher in neurochirurgische Kliniken wie die unsere zu schicken.
Ihre Experte für Trigeminusneuralgie:
PD Dr. Albrecht Waschke
Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt