Alexandra von Ponickau arbeitet als Ergotherapeutin mit ihrem Therapiehund „Mia“ mit den Patienten in der Neurologischen Klinik am RHÖN-KLINIKUM in Bad Neustadt. Der Kontakt mit den Tieren bringt Freude und ist eine willkommene Abwechslung im Pflege- und Behandlungsalltag.
Für Patientin Gabriele ist der Donnerstag ein ganz besonderer Tag, denn an diesem Tag steht auf ihrem Therapieplan die tiergestützte Therapie. Der Australian Shepherd ist einmal pro Woche als Therapeut und Seelentröster für die Patienten der Neurologischen Klinik vor Ort. Nachdem Gabriele mit Hilfe der Ergotherapeutin auf der Behandlungsliege Platz genommen hat, fragt Therapeutin Alexandra von Ponickau: „Haben Sie sich den Namen gemerkt?“ – „Ja“, antwortet Gabriele stolz, „das ist die Mia“. Dann ruft sie den Hund zu sich. Keine Sekunde nachdem der Name ausgesprochen wurde, springt Mia mit einem gekonnten Satz freudig zur Patientin auf die große Liege, legt sich auf den Rücken und lässt sich den Bauch kraulen. Die ältere Dame strahlt, lobt den Hund und streichelt ihn ausgiebig – auch mit dem Arm, den die Patientin im Alltag seit einem Schlaganfall eigentlich kaum bewegen kann. Ohne dass sie es bemerkt lockern sich ihre Finger aus der Verkrampfung und ihre Hand öffnet sich etwas, als Mia süße Leckereien aus ihrer Hand fressen darf.
Mia ist als Therapiehund in der Neurologischen Klinik am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt, zusammen mit ihrem Frauchen Alexandra, tätig. Die beiden sind nicht nur eine besondere Erheiterung in der Klinik, sondern sie therapieren einmal in der Woche gemeinsam die Patienten. Damit sind sie nicht alleine: Insgesamt gibt es derzeit vier Therapiehundeteams. Vom kleinen Terrier, bis hin zum Dalmatiner-Labrador Mischling, sind verschiedenste Hunderassen vertreten und mit ihren auch ihre ganz verschiedenen Charaktere. Genau das ist wichtig, denn so kann bei jedem Patienten abgewogen werden, welcher Hund zu ihm passt.
In der Ausbildung zum Therapiehund gibt es keinen einheitlichen Lehrplan, der vorschreibt, was der Auszubildende am Ende können muss. Die Hunde werden in Begleitung Ihrer Trainer an zukünftige Aufgaben herangeführt. Der Fokus liegt hierbei besonders auf den bestehenden Qualitäten des Hundes, die durch spielerisches Üben trainiert werden. So kommt es, dass einige Hunde gerne die ganze Therapiestunde kuscheln, andere hingegen viele Tricks können und aktiv sein möchten.
Mia mag und kann beides, wie sich bei der nächsten Aufgabe zeigt. Die Patientin wirft Mia einen Ball zu, damit diese ihn zurück zu ihr bringen kann. Die Hündin gehorcht problemlos, was Gabriele große Freude bereitet. Obwohl sie zu Beginn der Sitzung etwas zurückhaltend und still war, sprudelt das Lob jetzt nur so aus ihr heraus. „Ganz brav und ganz fein bist du! Ganz gut erzogen! Fein Mia!“ Dann erzählt sie voller Enthusiasmus von ihren eigenen Tieren und es wird deutlich merkbar, wie glücklich und weit entfernt vom Krankenhausalltag die ältere Dame gerade ist. Neben der emotionalen Stärkung wirkt die Anwesenheit des Hundes auch beruhigend auf die Patienten. Der Puls wird langsamer und eine Entspannung der Muskeln setzt wie automatisch ein, weil Anspannungen abfallen.
Während den verschiedenen einzelnen Übungen, liegt Mia ganz ruhig auf ihrer Decke und beobachtet. Sie ist besonders gut darin, auf die Mimik der Menschen zu achten. Bei ihrer Arbeit in der Neurologie begegnet Mia häufig Patienten mit Aphasie – eine Störung der Sprache und Ausdrucksfähigkeit. Diesen Menschen gelingt es häufig nicht auf Anhieb, Mia zu rufen. Dann erkennt sie an der andeutenden Mundbewegung ihren Einsatz und stürmt los. Einzig das wieder Hinlegen zwischen den Übungen ist nicht ihre Lieblingsaufgabe, das muss Frauchen manchmal auch zwei Mal sagen.
Ihre gute Erziehung hat Mia nicht erst während ihrer Ausbildung gelernt, vielmehr war die Führigkeit eine Voraussetzung. Während des Lernprozesses mussten die Hunde aber noch lernen, auch an der Seite von Hilfsmitteln wie Rollstühlen oder Rollatoren zu gehen und hier eine Hilfestellung für die Betroffenen zu sein. Für die Eignung des Hundes ist neben seiner Erziehung außerdem sein Wesen entscheidend, denn lange nicht jeder Hund kommt für die Ausbildung infrage. Offenherzig und gut sozialisiert muss er sein und darf keine Scheu vor Fremden zeigen. Trotz Eignung und guter Ausbildung ist die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit, dass Hundeführer und Therapiehund in dieser Zeit zu einem perfekt funktionierenden Team zusammenwachsen. Für welchen Bereich der Hund dann nach bestandener Prüfung eingesetzt wird, ist nicht vorgeschrieben. Manche Hunde sind in Einrichtungen für psychisch erkrankte Menschen tätig oder aber in Schulen. Andere werden in der Ergo- und Physiotherapie eingesetzt, so wie Mia und ihre Kollegen Nelly, Schröder und Pablo.
Wie eine Therapie im Einzelnen abläuft, hängt ganz von den individuellen Fähigkeiten der zu therapierenden Person ab. Einige sind motorisch oder auch kognitiv stark eingeschränkt, sodass es reicht, durch das Streicheln und Spielen mit dem Vierbeiner ganz unbewusst die Motorik zu trainieren. Bei aktiveren Patienten gibt es auch Gruppensitzungen, in denen durch gemeinsames Spielen mit dem Hund Mobilität wieder erlernt und gestärkt wird.
Ach bei der nächsten Patientin Martina, die heute zum ersten Mal mit Mia arbeiten darf, geht es um die Mobilität. Sie ist wegen ihrer Erkrankung Multiple Sklerose unsicher auf den Beinen und kann kaum ohne Rollator gehen. Deshalb soll sie jetzt, über verschiedene Hindernisse hinweg, einen Futterbeutel für den Hund verstecken, den dieser dann zurück bringt. Das macht beiden Spaß, vor allem weil die Patientin Mia nach jedem Durchgang eine kleine Belohnung geben darf. In ihrer Begeisterung verteilt Martina gleich eine Hand voll Leckerlis, was Therapeutin Alexandra maßregeln lässt: „Der Hund platzt sonst heute Abend!“ Mit jedem Durchgang wird die Patientin sicherer und lernt durch die Übungen spielend, sich trotz ihrer Einschränkungen gekonnt fortzubewegen.
Am Ende jeder Sitzung gibt es ein Abschiedsritual, das jetzt auch Martina mit Mia ausprobieren darf. Die Hündin reicht der Patientin die Pfote, danach bekommt sie zur Belohnung von dieser ihr Lieblingsspielzeug, ein quietschendes Schweinchen. Ohne dass die Behandelten es bemerken, werden auch hier wieder Bewegungsabläufe trainiert. Genau dieses unbewusste Training erkennt Therapeutin Frau von Ponickau als den größten Mehrwert konventionellen Therapieformen gegenüber. Der Patient bemerkt in dem Moment der Therapie nicht, dass er Bewegungen und Beweglichkeit trainiert. Er agiert mit und für den Hund, die Therapie läuft nahezu nebenbei. Auch die Motivation steigt enorm – die Patienten möchten Übungen freiwillig wiederholen und freuen sich schon am Ende der Sitzung auf die nächste Stunde, denn diese Einheit ist für viele eine willkommene Abwechslung zum Alltag im Krankenhaus. Tiere kommunizieren auf emotionaler Ebene. Bei einigen ist es die bloße Freude an der Arbeit mit dem Hund, bei anderen der Gedanke an das eigene Tier, das den Patienten Zuhause erwartet.
Die Therapieform wird in der Neurologischen Klinik in Bad Neustadt seit mittlerweile acht Jahren angeboten. Alle Patienten die Tiere, speziell Hunde gerne haben, Interesse an der tiergestützten Therapie zeigen und keine Hundeallergie aufweisen, kommen für das spezielle Therapieangebot in Frage. Da die Hunde immer direkte Wege zu den für sie vorgesehenen Räumen laufen und stets alles gesäubert und desinfiziert wird, gibt es keine hygienischen Bedenken im Krankenhausumfeld.
Ihre Expertin für tiergestützte Therapie:
Alexandra von Ponickau
Ergotherapeutin der Neurologischen Klinik am Campus Bad Neustadt