„Körperliche Betätigung ist das wichtigste Mittel, das wir haben, um uns selbst zu schützen und zu therapieren”, sagt Dr. Pascal Bauer. Als Oberarzt betreut er Sportanfänger und Leistungssportler gleichermaßen und leitet die Sportkardiologie in der Medizinischen Klinik I für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen. Im Interview gibt er Tipps, auf was man beim Lauf- und Krafttraining achten sollte, erklärt, was es mit dem kardiologischen Check-up auf sich hat, und wann ein solcher sinnvoll ist.
Herr Dr. Bauer, warum gilt Sport grundsätzlich als gesund?
Wir wissen, dass durch körperliche Aktivität und insbesondere Sport die Sterblichkeit reduziert wird. Evolutionär betrachtet sind wir Menschen Ausdauerjäger und daher prädestiniert für langes Laufen. Dies ist die Natur des Menschen, nur verhalten wir uns heute völlig anders und bewegen uns viel zu wenig.
Gegen was hilft Sport?
Die körperliche Aktivität und der Sport stellen für uns gezielte Präventionsmaßnahmen dar, um gesund zu bleiben und uns vor vielen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Krebs oder Demenz zu schützen. Zudem wirkt Sport bei erkrankten Menschen therapeutisch zuweilen besser als ein Medikament. Sport ist dabei als Medikament zu betrachten, welches, richtig dosiert, eine sehr effektive Therapie darstellt.
Sie raten also grundsätzlich allen Menschen dazu, Sport zu treiben?
Die körperliche Betätigung ist meiner Meinung nach das wichtigste Mittel, das wir haben, um uns selbst vor Erkrankungen zu schützen. Bei vielen Erkrankungen wurde in den letzten Jahren nachgewiesen, dass die körperliche Aktivität positive Effekte auf den Verlauf und die Symptome hat. Daher sollten wir nicht darauf verzichten, insbesondere, da bereits eine geringe Steigerung der körperlichen Aktivität positiv wirkt. Man hat also Möglichkeiten, sich selbst zu helfen. Einer gewissen Anleitung bedarf es am Anfang, aber man wird schnell unabhängig und kann dann sein Training selbst steuern und steigern. Das Problem ist allerdings für viele, die Steigerung der körperlichen Aktivität regelmäßig durchzuführen und in den Alltag zu integrieren. Hierbei hilft dann Disziplin und Selbstverantwortung.
3,6 Todesfälle auf 100.000 Sporttreibende
Manche Sportanfänger haben Angst vor negativen Folgen für Ihre Gesundheit. Gerade dann, wenn sie Probleme mit dem Herzen haben…
Grundsätzlich muss man sagen, dass Bewegung als solche zunächst einmal gesund ist. Das Risiko, dass einem während des Sporttreibens etwas passiert, ist gering. Die Statistik spricht von 3,6 Herz-Kreislauf-bedingten Todesfällen, die auf 100.000 Sporttreibende kommen. Dabei handelt es sich nahezu immer um Menschen mit bisher unerkannten Herzerkrankungen, sogenannten kardialen Erkrankungen.
Das heißt, ein Vorab-Checkup ist sinnvoll…
Ja. Bei der Aufnahme von sportlichen Aktivitäten sollte bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, jedoch auch bei anderen Erkrankungen zuvor medizinisch überprüft werden, welches Training und welche Trainingsintensitäten sinnvoll sind. Es gibt hierbei einige Besonderheiten zu beachten. Grundsätzlich gilt: Sport stellt eine Therapie dar, die, wie ein Medikament, richtig dosiert werden muss.
Was müssen Gesunde beachten?
Bei ihnen sollte entsprechend der aktuellen Empfehlungen vor Aufnahme der sportlichen Aktivität eine Krankenvorgeschichte inklusive der familiären Belastung erhoben sowie ein sogenanntes Ruhe-EKG durchgeführt werden. Falls Auffälligkeiten zu sehen sind, sollte eine kardiologische Vorstellung zur Durchführung weiterer Untersuchungen erfolgen, um bisher möglicherweise unerkannte kardiale Erkrankungen zu erkennen.
Auf was sollte man denn grundsätzlich achten, wenn man nach dem Checkup zum Beispiel mit dem Laufen oder Krafttraining beginnt?
Die Intensität und die Dauer sind die entscheidenden Faktoren. Diese einzuschätzen und zu dosieren gelingt erfahrungsgemäß Menschen, die bereits von Kindesbeinen an Sport getrieben haben, deutlich besser als jemandem, der erst später startet und deswegen oftmals professionelle Hilfe braucht, um sich selbst einschätzen zu lernen.
Stolperstein: zu schnelles Tempo
Was ist der häufigste Anfängerfehler?
Ich habe Patienten, die schon seit drei bis sechs Monaten Sport treiben, aber bislang keinerlei Trainingserfolg nachweisen können, wenngleich sie sich stets am Ende des Trainings völlig erschöpft fühlen. Dies wirkt ziemlich demotivierend und führt dann irgendwann zur Beendigung der sportlichen Aktivität. Ursächlich ist hierbei nahezu immer ein zu schnelles Tempo zu Beginn. Das führt zwar zur Erschöpfung, allerdings fehlt der Trainingsfortschritt, weil der Körper sich erst langsam an die Belastung gewöhnen muss. Ein Trainingsplan hilft hier. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass man immer langsamer starten sollte, als man eigentlich will.
Mal ein Blick aus der Distanz: Worum genau geht es Ihrer Disziplin, der Sportkardiologie, grundsätzlich?
Die Sportkardiologie ist eine Spezialdisziplin, die die Kenntnisse der Kardiologie und der Sportmedizin miteinander vereint. Als Sportkardiologe ist man sowohl ausgebildeter Kardiologe, also Herzspezialist, als auch Sportmediziner. Die sportliche Betätigung sowie die Auswirkungen derselben stehen im Mittelpunkt des Faches. Durch die Erkenntnisse der vergangenen Jahre und der zunehmenden Bedeutung des Sportes in der Prävention und Therapie von Erkrankungen hat sich diese Spezialisierung rasant entwickelt.
Woran liegt das?
Zum einen an diffizilen Fragestellungen zur kardiologischen Betreuung von gesunden Sportlern und Leistungssportlern, zum anderen natürlich an der Ausweitung des Themas „Sport als Therapie“ bei Erkrankungen. Daher betreuen wir heute Patienten sportkardiologisch, denen man noch vor einigen Jahren, aufgrund von Unwissenheit, vom Sport abgeraten hätte.
Was ist Ihr Ziel?
In erster Linie geht es darum, alle Menschen, die Sport machen und damit ihre Gesundheit bewahren wollen, darin zu unterstützen und unser Fachwissen zu nutzen, um mögliche kardiale Gefährdungen zu vermeiden.
Wie können Sie das sicherstellen?
In der Regel bedarf es einer körperlichen Untersuchung, der Erhebung der individuellen Krankengeschichte und Familienhistorie sowie eines Ruhe-EKG. Durch diese Untersuchungen können wir bereits diejenigen Leute herausfiltern, die einer Risikogruppe angehören. Bei Menschen über 40 Jahren sollte zudem ein Belastungs-EKG erfolgen. Wenn bei diesen Basisuntersuchungen Auffälligkeiten bestehen, oder bereits Vorerkrankungen wie etwa Bluthochdruck vorliegen, ist eine erweiterte kardiologische Diagnostik notwendig.
Wann sollte man als Sportanfänger überhaupt einen kardiologischen Checkup machen lassen?
Sportanfänger im Erwachsenenalter und Wiedereinsteiger stellen bekanntermaßen eine Risikogruppe dar, bei denen kardiale Zwischen- und Todesfälle deutlich häufiger auftreten. Daher sind hier die genannten Basisuntersuchungen sinnvoll. Falls hierbei Auffälligkeiten detektiert werden, sind weiterführende Untersuchungen, unter anderem mit einem Herzultraschall, notwendig. Damit kann man das Risiko minimieren.
Wie können Sie als Sportkardiologe Anfängern noch helfen?
Sportkardiologen können wertvolle Hinweise zur Belastungssteuerung und zur Wahl der individuell geeignetsten Sportart geben, um das gewünschte Trainingsziel zu erreichen. Zudem können detaillierte und individuelle Trainingspläne erstellt und Hinweise zum Umgang mit auftretenden Problemen gegeben werden.
Was sollte man beim Starten mit dem Laufsport beachten?
Ausdauerlaufen lässt sich sehr gut über die Herzfrequenz steuern. Durch einen Ausbelastungstest in der sportkardiologischen Ambulanz lässt sich die maximale Herzfrequenz ermitteln und die aktuelle Leistungsfähigkeit feststellen. Anhand dieser Informationen kann man ein Trainingsherzfrequenzbereich festlegen. Dabei ist es natürlich ein Unterschied, ob man für einen Marathon oder einen 400-Meter-Sprint trainieren möchte.
Pulsuhren als hilfreiches Werkzeug
Was halten sie von Pulsuhren, die man ja mittlerweile günstig kaufen kann?
Diese Pulsuhren, die sehr genau die Herzfrequenz messen, sind ein sehr hilfreiches Werkzeug, um gerade im Ausdauerbereich zielgenau zu trainieren. Ihre Nutzung bietet sich vor allem für Sporteinsteiger an, die ihren Körper noch nicht so gut kennen. Auf diese Weise können sie lernen, die Belastung zu steuern. Zum anderen sind sie gerade für bereits kardial Erkrankte ein nahezu unverzichtbares Hilfsmittel, um die sportliche Belastung zielgenau zu steuern. Die jeweiligen empfohlenen Herzfrequenzbereiche können durch eine sportkardiologische Untersuchung ermittelt werden.
Kann man mit Laufen denn effektiv Gewicht verlieren?
Dies ist sicherlich möglich, jedoch nicht ganz einfach, da es lange dauert. Wenn es um effektiven Gewichtsverlust geht, ist Krafttraining besser geeignet. Dies liegt am höheren Energieverbrauch von Muskeln. Eine höhere Muskelmasse führt auch im Ruhezustand zu einem höheren Energieverbrauch. Letztlich wird hierdurch dann bei gleicher Energieaufnahme Gewicht verloren. Es gilt allerdings: Krafttraining ist nicht gleich Krafttraining. Dynamisches Krafttraining mit dem Einsatz des eigenen Körpergewichtes, also ohne Einsatz von Hanteln etc., ist sicher die beste Variante. Krafttraining an Geräten wie im Fitnessstudio sind geführte, d.h. nicht alltagsrelevante Bewegungen, die zudem einer Supervision bedürfen, um die Bewegungen richtig durchzuführen.
Was empfehlen Sie stattdessen?
Viel effektiver und auch schonender ist das sogenannte dynamische Krafttraining mit Hilfe des eigenen Körpergewichts. Beispielsweise Kniebeugen und Liegestützen, also Übungen, die man im Zweifelsfall auch zuhause machen kann und für die man wenig bis keine Anleitung braucht.
Also doch lieber zuhause trainieren als im Fitnessstudio?
Das ist individuell zu betrachten und hängt von der jeweiligen Person ab. Viele Menschen benötigen einen festen Termin an einem bestimmten Ort, um regelmäßig ein Training durchzuführen. Ein solcher Ort kann natürlich ein Fitnessstudio sein.
Persönlicher Trainer sinnvoll?
Braucht man einen persönlichen Trainer?
Dies ist oft die optimale Variante, aber eben auch die kostenintensivste. Deswegen kommt diese Lösung für die breite Masse auch eher nicht infrage. Im Fitnessstudio sollte am Anfang ein Trainer zu Rate gezogen werden, um die jeweiligen Übungen richtig machen zu können. Ein Trainer kann dann korrigierend einwirken. Dies ist schon deshalb wichtig, um Gelenkbeschwerden durch eine falsche Übungsdurchführung zu vermeiden.
Es gibt den Spruch, Training sei das Spiel zwischen Belastung und Erholung. Haben Sie den Eindruck, dass viele Sportler der Erholung zu wenig Bedeutung beimessen?
Es gibt beide Extreme. Meistens ist es so, dass die Leute zu schnell zu viel wollen. Das erlebt man immer wieder, gerade bei Personen, die anfangen zu joggen und zuvor noch keinen Sport gemacht haben. Gebe ich ihnen einen Trainingsbereich mit einer Herzfrequenz vor, rufen sie mich nach zwei Tagen an und sagen: „Diesen Trainingsbereich einzuhalten schaffe ich nur, wenn ich gehe. Das ergibt doch keinen Sinn!“ Und dann sage ich: „Machen Sie das mal zwei Wochen, und dann kommen Sie ins Laufen.”
Welche Bedeutung hat die Erholungszeit?
Die ist natürlich sehr wichtig, gerade beim Krafttraining. Denn der Muskelaufbau findet in der Erholungsphase statt und eben nicht in der Phase, in der ich mich belaste. Das wird oft verkannt. Konkret bedeutet das, dass zwischen den Krafttrainingseinheiten auf jeden Fall zwei Tage Erholungszeit liegen sollten, damit sich der Muskel anpassen kann. Trainiert man jeden Tag die gleichen Muskelgruppen, baut man im Endeffekt sogar Muskeln ab, tut sich also nichts Gutes.
Sie bieten, quasi als zweiten Schritt nach dem regulären kardiologischen Checkup, auch eine sogenannte Leistungsdiagnostik an. Für welche Personen ist eine solche relevant?
Durch eine solche Leistungsdiagnostik kann man das Training noch einmal genauer festlegen. Für Gesundheitssportler ist das meist nicht relevant. Vielmehr geht es hier um Personen, die sehr ambitioniert Sport treiben und natürlich für Leistungssportler. Insbesondere Individualsportler im Ausdauerbereich können davon deutlich profitieren. Wenn ich mein Training nach einer Leistungsdiagnostik ausrichte, muss ich sie auch regelmäßig wiederholen. Der Leistungsbereich wird ja durch Sport verändert und die erhobenen Parameter, die zur Trainingssteuerung herangezogen werden, verändern sich daher ebenfalls. Zudem kann eine Leistungsdiagnostik für Menschen mit Herz- und Lungenerkrankungen sinnvoll sein, um individuell eine genaue Trainingssteuerung zu gewährleisten. Eine herkömmliche Trainingsberatung, wie wir sie Hobbysportlern anbieten, ist natürlich preislich wesentlich günstiger und, wie gesagt, für die meisten Menschen völlig ausreichend.
Sportliche Hypes
Mittlerweile gibt es ja eine ganze Menge sportlicher Hypes. Sind Sie als Arzt diesen gegenüber eher offen oder konservativ eingestellt?
Heutzutage haben die meisten Menschen wenig Zeit. Das hat zur Folge, dass man auch sportlich möglichst viel innerhalb einer kurzen Zeitspanne erreichen will. Die Popularität des hochintensiven Intervalltrainings ist sicherlich dieser Entwickelung geschuldet. Es ist allerdings aufgrund seiner Intensität nicht für jeden Sportler geeignet. Ein gesunder Bewegungsapparat ist hierbei von Nöten, weil die Belastung für diesen beim hochintensiven Training hoch ist. Zudem gibt es aktuell noch Unklarheit über die Sicherheit dieses Trainings bei kardial erkrankten Personen, so dass gegenwärtig eine vorhergehende kardiologische Diagnostik empfohlen werden muss. Grundsätzlich glaube ich, dass es sich künftig weiter durchsetzt. Darüber hinaus gibt es immer wieder vermeintlich neue Trends, die sich als neu verpackte ältere herausstellen.
Herr Dr. Bauer, wie findet man seinen persönlichen Lieblingssport?
Ein individuell passendes Training, das einem Spaß macht, ist heutzutage schwierig zu finden. Dies liegt an den unzähligen Möglichkeiten und Angeboten, die für eine sportliche Betätigung zur Verfügung stehen.
Das heißt, Sie würden empfehlen, vieles auszuprobieren?
Definitiv. Probieren geht hier über Studieren. Ich sage allen meinen Athleten, dass sie etwas finden müssen, was ihnen Spaß macht und was sie gerne regelmäßig machen. Sonst ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie es relativ schnell wieder aufgeben.
Ihr Experte für Sportkardiologie:
Dr. Pascal Bauer
Leiter der Sportkardiologie in der Medizinischen Klinik I für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen