Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht schon einmal an Rückenschmerzen gelitten hat. Welche Arten Experten unterscheiden und welche Therapieoptionen möglich sind, erklärt Jürgen Steiner. Er ist Physiotherapeut an der Neurologischen Klinik Bad Neustadt.
Herr Steiner, welche Arten von Rückenschmerzen unterscheiden Sie als Physiotherapeut?
Wir unterscheiden den spezifischen vom unspezifischen Rückenschmerz. Der spezifische liegt da vor, wo es eine unmittelbare, klar erkennbare Ursache für den Schmerz gibt, wie es etwa ein Trauma, ein Bandscheibenvorfall oder eine Spinalkanalstenose sein kann. Weitaus häufiger kommt der unspezifische Rückenschmerz vor. An ihm leiden etwa 90 Prozent aller Rückenschmerz-Patienten. Und hier ist die Ursache nicht ganz klar.
Gibt es noch ein weiteres Unterscheidungskriterium hinsichtlich der Schmerzen?
Ja. Wenn ein Patient, der sich zum Beispiel beim Herausnehmen von Tassen aus dem Küchenschrank verzerrt hat, mit Rückschmerzen beim Arzt oder Therapeuten erscheint, handelt es sich um einen sogenannten akuten Fall, der in der Regel nicht länger als sechs Wochen Schmerz verursacht. Bei einer Dauer von sechs bis zwölf Wochen sprechen wir von „subakut“, und darüber hinaus gehende Erkrankungen bezeichnen wir als „chronisch“. Die Physiotherapie kümmert sich hauptsächlich um die akuten und die chronischen Fälle, wobei Patienten mit akuten Schmerzen natürlich anders behandelt werden als solche, die an chronischen Schmerzen leiden. Bei diesen müssen Ärzte und Therapeuten häufig viele Co-Faktoren berücksichtigen, die die Entstehung und die Entwicklung des Rückenleidens begünstigen.
Grundsätzlich sollte man mit Rückenschmerzen zunächst einmal den eigenen Hausarzt aufsuchen, oder?
Genau. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass rund 80 Prozent der Rückenschmerzen spontan wieder verschwinden. Deshalb ist eine sofortige Verordnung einer Physiotherapie durch einen Hausarzt auch nicht immer unbedingt erforderlich. Für die ärztliche Diagnose ist natürlich auch sehr relevant, ob es einen konkreten Grund gibt, weshalb die Schmerzen plötzlich aufgetreten sind. Ist dieser klar und handelt es sich infolgedessen um einen spezifischen Rückenschmerz, so kann gleich mit einer geeigneten Therapie begonnen werden, sofern nötig. In manchen anderen Fällen genügt auch eine medikamentöse Therapie.
Wie funktioniert die Schnittstelle zwischen Hausarzt und Ihnen als Therapeut?
In der Regel läuft es folgendermaßen ab: Der Arzt stellt zunächst seine Diagnose, um welche Kategorie Rückenschmerz es sich handelt – und stellt eine Verordnung aus. Wir Physiotherapeuten führen dann mit den Patienten unter anderem Bewegungstests durch und erstellen einen umfassenden Befund, der im Idealfall die ärztliche Annahme bestätigt. Aufbauend darauf findet dann eine geeignete Therapie statt.
Welche Arten von Therapien nutzen Sie?
In der Regel die sogenannte Triggerpunkt-Therapie und das Faszien-Distorsions-Modell. Beides sehr effektive sogenannte Fast-Track-Methoden, bei denen es um eine gezielt herbeigeführte Schmerzreduktion durch den Physiotherapeuten geht. Gleichzeitig ist es allerdings wichtig, dass auch der Patient selbst wieder aktiv wird. Dabei helfen unterschiedliche Übungsprogramme, die er eigenständig absolvieren kann, etwa das Konzept der lokalen Stabilität in Kombination mit der sogenannten Neurodynamik.
Es geht also darum, den Patienten gezielte Bewegungen ausführen zu lassen?
Richtig. Unsere Patienten haben zum einen Schmerzen, und zum anderen können sie sich in ihrer Situation nicht richtig bewegen. Das sind die wahren Gründe, weshalb sie einen Arzt aufsuchen. Sie wollen ihre Schmerzen loswerden und sich wieder bewegen können. Wir Physiotherapeuten führen mit ihnen zum Beispiel Bewegungstests durch, lassen sie sich kontrolliert nach vorne oder hinten beugen, sie drehen, und so weiter. Die auf diese Weise festgestellten Bewegungsdefizite dienen nach der Therapie als Test, um Veränderungen sofort zu erkennen. Zudem bitten wir unsere Patienten, ihren Schmerz auf einer Skala von 0 („kein Schmerz“) bis 10 („maximaler Schmerz“) einzuordnen. Bei einem Bandscheibenvorfall zum Beispiel kann die Nervenstruktur als solche in Mitleidenschaft gezogen sein. Und dies äußert sich in unseren Testergebnissen dementsprechend. Überhaupt können Rückenschmerzen auch mit neurologischen Symptomen einhergehen.
Kann man sagen, dass Rückenschmerzen heilbar sind? Oder kommen sie immer wieder zurück?
Sagen wir es so: Man kann sie definitiv gut therapieren. Hinsichtlich des unspezifischen Rückenschmerzes brauchen wir ohnehin nicht von „Heilung“ zu sprechen, weil wir nicht immer genau wissen, woher dieser kommt und wie er entstanden ist. Hier geht es darum, die Patienten schmerzfrei zu bekommen, wie wir sagen, und sie „zurück in den Alltag zu bringen“. Bei einem handfesten Bandscheibenvorfall mit Lähmungserscheinungen hingegen, also einem spezifischen Rückenschmerz, kann unter Umständen eine Operation dafür sorgen, dass der betroffene Patient beschwerdefrei wird. Die Operation sollte bei hochgradigen Lähmungen sehr schnell erfolgen, ansonsten sollte mit der Operation eher zurückhaltend umgegangen werden. Tatsächlich kann man allerdings sagen, dass bei fast 70 Prozent der Patienten mit unspezifischem Rückenschmerz innerhalb eines Jahres eine zweite Episode folgt, wie wir Therapeuten das nennen. Dieser können wir aber durch vorbeugende Maßnahmen entgegenwirken.
Wie geht denn sinnvoll Vorbeugen?
Das Wichtigste ist, dass man als Mensch nach Möglichkeit stets im Gleichgewicht bleiben sollte. Das heißt: Dort, wo Überlastung stattfindet, muss Entlastung her. Und dort, wo zu wenig Belastung ist, muss mehr von ihr stattfinden. Meine Aufgabe als Physiotherapeut ist, meine Patienten zu lehren, selbst zu erkennen, in welche dieser beiden Kategorien sie fallen – und sie anzuleiten, entsprechend sinnvoll zu handeln.
Was kann man als Patient dann aktiv tun?
Ist man in seinem Job überlastet, ist es wichtig, einen Ausgleich zu schaffen, beispielsweise durch Einnahme sogenannter Entlastungspositionen. Manchmal kann es schon helfen, beim Stehen den Rücken an die Wand zu lehnen. Oder eines der Beine auf eine Stufe zu stellen, um die eigene Position zu verändern. Gegen diese unspezifischen Rückenschmerzen gibt es eine ganze Menge von Übungen, die den Patienten effektiv helfen können, Rückenschmerzen vorzubeugen, oder – hat man sie bereits – sie möglichst schnell wieder loszuwerden.
Wer ist denn von Rückenschmerzen besonders betroffen?
Zwischen Mann und Frau gibt es keine signifikanten Unterschiede, das haben wissenschaftliche Studien ergeben. Oftmals ist allerdings der ausgeübte Beruf entscheidend. Denn manche Jobs, wie etwa solche in der Baubranche oder auch in der Altenpflege, bringen eine extrem starke Belastung für den Rücken, also die gesamte Struktur der Wirbelsäule, mit sich. Aber auch Menschen wie Lastkraftfahrer sind betroffen, nur dass diese eben an einem Zuwenig an Bewegung leiden. Wie sooft resultieren Beschwerden also entweder aus einer einseitigen Überlastung oder eben einer Unterforderung der körperlichen Strukturen.
Nimmt die Wahrscheinlichkeit an Rückenschmerzen zu erkranken im Alter zu?
Ja, allerdings nur leicht. Wissenschaftlich betrachtet wesentlich auffälliger sind zum Beispiel psychosoziale Faktoren wie Einsamkeit oder eine Depression. Diese können nachweislich Rückenschmerzen verstärken und andere körperliche Gebrechen hervorrufen. Die Psyche muss allerdings nicht immer die Ursache sein, sie kann auch eine Reaktion des Körpers sein.
Was bedeuten diese Erfahrungen für Sie als Therapeut?
Grundsätzlich ist es wichtig, als Arzt und Therapeut immer den ganzen Menschen im Blick zu haben. Denn viele Erkrankungen, und eben auch Rückenschmerzen, sind oft komplex, das sagt mir auch meine Erfahrung. Im Bereich der Schmerztherapie arbeite ich als Physiotherapeut deshalb eng mit Psychologen und Ärzten zusammen. Gerade dann, wenn es um chronische Schmerzen geht, die einen Patienten auf lange Zeit belasten.
Ihr Experte für Rückenschmerzen:
Jürgen Steiner
Physiotherapeut an der Klinik für Akutneurologie / Stroke Unit und neurologische Intensivmedizin am Campus Bad Neustadt
Übungen
Die häufigste Ursache für Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule sind Bewegungsmangel sowie einseitige Belastungen. Daraus resultieren Muskelschwäche, Bewegungseinschränkungen und fehlenden Kontrolle über die Muskulatur. Die Wirbelsäule ist nicht mehr der Lage sich ausreichend gegen Alltagsbelastungen zu stabilisieren.
Diesem Problem kann man allerdings gezielt und mit verschiedenen Maßnahmen entgegenwirken.
Im Folgenden möchten wir Ihnen Möglichkeiten vorstellen, wie man als Patient gegen Rückenbeschwerden selbst aktiv werden kann – unter Zuhilfenahme der Konzepte der „Lokalen Stabilität“ und der „Hubfreien Mobilisation“.
Die Übungen der „Lokalen Stabilität“ erhalten und erarbeiten eine gute Koordination aller an den Bewegungen des Rumpfes beteiligten Muskeln. Das PDF mit den entsprechenden Übungen können Sie hier herunterladen.
Bei den Übungen der „Hubfreien Mobilisation“ wird die Einwirkung der Schwerkraft auf die Rückenmuskulatur verringert. Diese Übungen können Sie sich hier als PDF herunterladen.