Morgens mit steifen Fingern aufstehen und Schwierigkeiten beim Anziehen oder bei der Morgentoilette haben: Unter derartigen Beschwerden leiden Schätzungen zufolge um die eine Million Menschen in Deutschland. Dabei sind nicht nur ältere Personen betroffen, sondern auch Kinder und Jugendliche.
Ursache ist oftmals eine von etwa 100 bekannten rheumatologischen Erkrankungen, von denen Gelenksentzündungen die häufigste Form sind.
Experte für derartige Krankheitsbilder ist Professor Dr. Olaf Kilian, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Zentralklinik Bad Berka. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog beantwortet er die wichtigsten Fragen zum Thema – und gibt Rheuma-Patientinnen und -Patienten wertvolle Tipps.
Herr Professor Kilian, was kann man sich unter Rheuma vorstellen?
Die Rheumaerkrankung ist eine systemische Erkrankung, die durch körpereigene Substanzen ausgelöst wird. Die dadurch aktivierten Zellen erkennen den körpereigenen Gelenkknorpel und die Weichteile als Fremdgewebe – und lösen eine chronische Entzündungsreaktion aus. Die Abläufe derartiger Autoimmunerkrankungen sind leider noch nicht bis ins Detail geklärt.
Wie entwickelt sich die Erkrankung im Körper?
Durch die veränderte Aktivität der entzündeten Gelenkschleimhaut kann es zunehmend zur Knorpelschädigung in den Gelenken kommen. Folgen der rheumatologischen Erkrankungen sind dann oftmals eine Veränderung der Gelenkform, Fehlstellungen, und eine schnelle Gelenkabnutzung, die sogenannte rheumabedingte Arthrose.
Welche Körperteile sind da meist betroffen?
Die Erkrankung betrifft meist mehrere Gelenke und manifestiert sich am häufigsten zwischen der dritten und fünften Lebensdekade, bei Frauen rund drei Mal häufiger als bei Männern. Betroffen sein können große Gelenke wie das Schulter-, Hüft- und Kniegelenk, aber auch die kleinen Gelenke an Händen und Füßen. Oftmals beobachten wir auch rheumatische Veränderungen an der Wirbelsäule.
Wann sollte man sich behandeln lassen?
Schon Erstsymptome sollte man ernst nehmen und sich bei einem Arzt vorstellen. Ein rechtzeitiger Therapiebeginn bei der entzündlich rheumatischen Erkrankung bewahrt Gelenke und Weichteilgewebe vor größeren Schäden und eröffnet so die Chance, länger schmerzfrei beweglich zu bleiben.
Wie kann man sich die Diagnostik vorstellen?
Hier spielt die klinische Untersuchung eine Schlüsselrolle. Im Frühstadium der Erkrankung bestehen Symptome in schmerzhaften Schwellungen sowie Bewegungseinschränkungen der betroffenen Gelenke, und zwar vorwiegend nachts und morgens. An den Gelenken liegen häufig neben der Weichteilschwellung auch Flüssigkeitsansammlungen vor, die man als Gelenk-Erguss bezeichnet. Bei einer aktiven rheumatischen Erkrankung können die Gelenke auch überwärmt sein.
Wie sieht die Behandlung aus?
Die Ultraschalluntersuchung nimmt in der Diagnostik einen hohen Stellenwert ein. Anhand einer Röntgenuntersuchung des betroffenen Gelenks wiederum kann das Ausmaß der Gelenkveränderungen bestimmt werden, das von uns in verschiedene Stadien eingeteilt wird. Zum Thema Laboruntersuchungen muss man wissen, dass diese häufig nicht die bei einer rheumatologischen Erkrankung veränderten Blutwerte widerspiegeln, wie man es erwarten würde. Fakt ist: Bei geringen Gelenkzerstörungen durch die Rheumaerkrankung genügen konservative Maßnahmen, bei schweren Gelenkveränderungen kommen wir um Operationen in der Regel nicht herum, die allerdings über die Jahre immer seltener geworden sind.
Was genau wird im Fall eines Falls dann operiert?
Oftmals geht es um die Entfernung der Gelenkschleimhaut. Diese Methode wird nicht selten kombiniert mit Korrekturoperationen aufgrund der Fehlstellungen der Gelenke, zum Beispiel beim Rheumafuß. Bei schweren Gelenkzerstörungen größerer Gelenke, wie am Schulter- ,Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenk, kann auch die Implantation eines künstlichen Gelenkersatzes notwendig sein.
Wie weit ist die Medizin in Sachen „Kampf dem Rheuma“?
Grundsätzlich kann man sagen, dass unsere Wissenschaft in den vergangenen Jahren große Fortschritte in der Behandlung entzündlich rheumatischer Erkrankungen gemacht hat. Mit der Entwicklung neuartiger Medikamente, den sogenannten Biologika, hat man die Möglichkeit geschaffen, direkt diejenigen aktivierten Zellen, die die Gelenkszerstörung bedingen, zu hemmen. Diese Medikamente werden seit Jahren erfolgreich eingesetzt und müssen von den Rheumapatienten lebenslang eingenommen werden.
Gibt es sonst noch Therapiemöglichkeiten?
Neben der medikamentösen Therapie ist eine weitere Behandlungsmöglichkeit die sogenannte Radiosynoviorthese. Bei dieser Behandlungsform wird ein radioaktiver Wirkstoff in das Gelenk eingebracht, durch dessen Strahlung die Aktivität der Gelenkschleimhaut deutlich reduziert wird. Als Langzeiteffekt wird so Knorpelveränderungen an den Gelenken vorgebeugt.
Können Rheuma-Patientinnen und -patienten den Gelenk- und Weichteilveränderungen eigentlich gezielt vorbeugen?
Durchaus, und zwar mit gelenkschonendem Training und Bewegung, also zum Beispiel Walking, Schwimmen und Entspannungssport. Helfen kann auch eine fleisch- und zuckerarme Ernährung. Denn eine solche minimiert das Risiko von Folgen einer Rheumaerkrankung.
Und kann man Rheuma grundsätzlich in jungen Jahren vorbeugen?
Bedingt. Die genannte gesunde Ernährung und der konsequente Verzicht auf Nikotin können in jedem Fall einen wesentlichen Beitrag leisten. Nichts tun kann man natürlich gegen eine erbliche Veranlagung, die bei der Entstehung von Rheuma erwiesenermaßen eine große Rolle spielen kann.
Ihr Experte für Rheuma:
Professor Dr. Olaf Kilian
Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Zentralklinik Bad Berka