Mit jährlich um die 60.000 Neuerkrankungen ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung und eine der häufigsten Todesursachen aufgrund von Krebs bei Männern in Deutschland. Werden die bösartigen, zunächst langsam wachsenden Wucherungen jedoch im Anfangsstadium entdeckt und eine gezielte Therapie begonnen, haben fast alle Patienten gute Heilungschancen: Die relative Fünf-Jahres-Überlebenschance liegt bei über 90 Prozent.
„Beim Prostatakarzinom sprechen wir von einem Tumor, der in der Regel in allen Stadien sehr gut in den Griff zu bekommen ist”, sagt Professor Dr. Florian Wagenlehner. Er leitet ein international anerkanntes zertifiziertes Prostatakarzinom-Zentrum und ist Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen.
Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht er über Therapiemöglichkeiten und weshalb er eine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung für unerlässlich hält.
Herr Professor Wagenlehner, wie alt sind die meisten vom Prostatakrebs betroffenen Patienten?
Durchschnittlich zwischen 60 und 64 Jahre, in 10 Prozent der Fälle ist die Krankheit in der Familie schon häufiger aufgetreten.
Woran merkt man, dass man an Prostatakrebs erkrankt ist?
Frühsymptome gibt es beim Prostatakrebs leider keine. Die oft zitierten Schwierigkeiten beim Wasserlassen können ein Anzeichen sein, deuten aber nicht zwangsläufig auf eine bösartige Veränderung der Prostata hin. Außer, wenn der Krebs die gesamte Prostata schon befallen hat. Im Spätstadium der Erkrankung können Knochenschmerzen auftreten, dann nämlich, wenn das Karzinom in die Knochen metastasiert.
Welche Rolle spielen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen?
Sie sind extrem empfehlenswert. Solche Screenings retten erwiesenermaßen Leben. Das legen auch Studien nahe, an der hunderttausende Menschen teilgenommen haben. Die Kosten für die Vorsorgeuntersuchung tragen ab dem 45. Lebensjahr übrigens die Krankenkassen.
Wie gefährlich ist die Krankheit Ihrer Einschätzung nach?
Beim Prostatakarzinom sprechen wir von einem Tumor, der in allen Stadien sehr gut in den Griff zu bekommen ist. Grundsätzlich ist es so, dass sich die Behandlung dann einfach gestaltet, wenn noch kein Organ befallen ist. Hat der Krebs schon metastasiert, gibt es allerdings auch noch gute Chancen, die Krankheit in Schach zu halten. Wir sprechen dann aber von einer chronisch zu therapierenden Erkrankung, die dementsprechend eine lebenslange Behandlung erfordert.
Ist eine vollständige Heilung prinzipiell möglich?
Ja. Dann, wenn der Krebs auf die Prostata begrenzt ist und wir beispielsweise die Prostata operativ komplett entfernen, was heutzutage ein Routineeingriff ist.
Wie läuft die Untersuchung eines Patienten grundsätzlich ab?
Zunächst spielt die Erhebung des sogenannten PSA-Werts eine große Rolle. Erklärtes Ziel ist es, als Arzt Hinweise darauf zu bekommen, ob ein Prostatakrebs vorliegt. Mittlerweile gibt es in der Medizin mehrere Möglichkeiten, solche wichtigen Hinweise zu bekommen. Eine wichtige ist die spezielle Magnetresonanztomografie der Prostata, kurz: multiparametrisches MRT der Prostata. Die Technologie erlaubt es uns in erster Linie, hochaggressive Tumore nachzuweisen. Anschließend machen wir die Diagnose anhand von gezielten Gewebeproben fest. Das nennen wir Biopsie.
Wie läuft die Biopsie ab?
Alle unsere Patienten bekommen ein spezielles MRT der Prostata. Dieser Bilddatensatz wird dann auf einen Ultraschall übertragen. Das ermöglicht uns, live zu sehen, was das MRT bei der MRT-Untersuchung gezeigt hat. Experten sprechen hier von der sogenannten Bildfusion. Die Ergebnisse sind hier von hoher Verlässlichkeit und der älteren Methode, der Biopsie über den Enddarm, überlegen. Sie ist wesentlich risikoärmer und genauer und es gelingt uns, die Aggressivität des Prostatakrebs genauer einzuschätzen. In dieser Hinsicht hat sich auf medizinischem Gebiet gerade in den vergangenen Jahren sehr viel getan.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es nach Feststellung der Erkrankung?
Eine ganze Reihe, die wir je nach Ausprägung des Stadiums der Erkrankung anwenden. Wenn der Tumor in der Frühphase erkannt wird und nicht im Körper ausmetastasiert ist, kann man ihn heilen. Hier gibt es zwei unterschiedliche Therapiestrategien. Eine ist die Operation.
Wie läuft die Operation ab?
Hier werden Prostata und anhängende Samenbläschen von der Harnblase und der Harnröhre entfernt, wobei der Schließmuskel verschont wird. Anschließend nähen wir diese wieder an den Schließmuskel und die Harnröhre an. Wenn sich nach der Operation herausstellt, dass der Tumor auf die Prostata begrenzt ist und nicht in die Lymphknoten ausgesiedelt hat, können wir dem Patienten Mut machen, dass er wirklich geheilt ist. Wir sprechen hier, je nach Stadium, von gut 85 Prozent der Fälle.
Welche Behandlungsoptionen gibt es noch?
Zum Beispiel eine Bestrahlung. Jede ärztliche Entscheidung besprechen wir grundsätzlich im Team, dem sogenannten Tumor-Board. Es ist bestrebt, für jeden einzelnen Patienten eine optimale Behandlung zu konzipieren. Relevant für eine solche Entscheidung ist natürlich, wie aggressiv und ausgebreitet ein Tumor ist. Außerdem möchte ich festhalten, dass sich beim Prostatakrebs in der Diagnostik und der molekularen Bildgebung in den vergangenen Jahren sehr viel zum Positiven hin verändert hat.
Im Rahmen der Strahlentherapie von Tumoren stellt das Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum (MIT) eine innovative Technologie zur Behandlung von Tumoren zur Verfügung. Durch den Einsatz von Partikelstrahlung ist auch bei der Behandlung ausgedehnter oder sehr komplexer Bestrahlungsvolumen eine optimale Schonung von Risikoorganen wie Herz, Lunge, Leber oder Nieren möglich. Weitere Informationen zum Thema auf dem RHÖN-KLINIKUM AG YouTube Kanal: Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum (MIT)
Kann man dem Prostatakrebs gezielt vorbeugen? Vielleicht durch eine gesunde Ernährung?
Man weiß aus epidemiologischen Studien, dass zum Beispiel Japaner, die viel Algen- und Sojaprodukte essen, wesentlich seltener Prostatakarzinome entwickeln als etwa Menschen aus der westlichen Welt, wo viel Fleisch gegessen wird. Gestützt wird diese These von der Beobachtung, dass Personen, die früh in ihrem Leben etwa von Japan in die USA auswandern und ihre Ernährung entsprechend auf die neue Heimat umstellen, mit größerer Wahrscheinlichkeit am Prostatakarzinom erkranken als in ihrem Geburtsland.
Aber mit der gesunden Ernährung sollte man früh anfangen, oder?
Es ist sicher irrig anzunehmen, dass man als 60-jähriger in der westlichen Welt Aufgewachsener sein Risiko, Prostatakrebs zu bekommen, bedeutend minimiert, wenn man nach sechs Lebensjahrzehnten abrupt seine Ernährungsgewohnheiten umstellt. Sinnvoll ist hingegen, schon im Kindesalter wenig Fleisch zu sich zu nehmen und sich grundsätzlich antioxidativ zu ernähren. Besonders viele sogenannte Antioxidantien enthalten zum Beispiel Tomaten, Blaubeeren und Kaffee.
Ihre Experte für Prostatakrebs:
Prof. Dr. Florian Wagenlehner
Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg