Wenn sich Kräfte des mütterlichen Körpers gegen das eigene ungeborene Kind richten, ist schnelle Hilfe gefragt. Zwei Spitzenmediziner am Universitätsklinikum Gießen und Marburg behandeln und betreuen Frauen, die von der sogenannten Fetomaternalen Inkompatibilität betroffen sind. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog machen sie ihren Patientinnen Mut und sprechen über die weitreichenden Kompetenzen ihres in Deutschland einmaligen Zentrums.
Werdende Mütter, die zu Professor Roland Axt-Fliedner und Professor Gregor Bein kommen, sind oft verzweifelt. Sie hoffen auf kompetente Unterstützung der beiden Fachärzte, die am deutschlandweit einzigartigen Zentrum für Fetomaternale Inkompatibilität (DZFI) tätig sind. Hier kümmern sie sich um Erkrankungen, die noch ungeborene Kinder und auch Neugeborene betreffen.
Es kann passieren, dass sich mütterliche Antikörper gegen sogenannte Blutgruppenmerkmale des Kindes richten – eine gefährliche Situation, die man in der Medizin Fetomaternale Blutgruppenunverträglichkeit nennt. Diese kommt selten vor. Gerade deshalb ist eine frühzeitige Erkennung der Erkrankung besonders wichtig. Denn die Vorbeugung und Behandlung von Komplikationen können eine lebenslange Behinderung des Kindes verhindern, erklären die Experten im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog.
Voraussetzung für die vor- und nachgeburtliche Behandlung ist zunächst eine exakte Diagnose des mütterlichen Antikörpers, gegebenenfalls eine Genotypisierung der Eltern sowie eine nicht-invasive molekulargenetische Blutgruppenbestimmung des Fetus aus Plasma der Schwangeren. Darüber hinaus bedarf es einer sorgfältigen Überwachung und möglicherweise auch Behandlung des ungeborenen Kindes durch erfahrene Untersucher sowie eine nachgeburtliche Behandlung des Kindes in einem ausgewiesenen Zentrum für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, das von Professor Klaus-Peter Zimmer sowie seinem Oberarzt, Privatdozent Dr. Harald Ehrhardt, geleitet wird.
Für all diese Maßnahmen ist man am Universitätsklinikum Gießen und Marburg gut gerüstet. „Die Fetomaternale Unverträglichkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mutter Antikörper gegen Blutzellen des Kindes bildet“, erklärt Professor Bein, Leiter des mit dem Klinikum verbundenen Zentrum für Transfusionsmedizin und Hämotherapie: „Das betrifft zwei Zellsysteme, einmal die roten Blutzellen und einmal die Blutplättchen.“ Beide Erkrankungen, sagt der Experte, würden letztlich auf demselben Prinzip beruhen: Die Mutter immunisiere sich gegen die Blutgruppe ihres Kindes. Hier im Zentrum für Transfusionsmedizin und Hämotherapie setzt man sich gezielt wissenschaftlich mit dem Thema Fetomaternaler Unverträglichkeit auseinander.
Der Pränatal-Mediziner Professor Roland Axt-Fliedner kümmert sich um die pränatale sonographische Diagnostik und gegebenenfalls auch die sogenannte intrauterine Therapie der betroffenen Feten. Er ist Leiter des Zentrums für Pränatale Medizin und Fetale Therapie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen. Und wie sein Kollege kann auch er betroffene Frauen grundsätzlich beruhigen: „Wir haben all jene die Fetomaternale Unverträglichkeit betreffenden Krankheitsbilder mittlerweile gut im Griff“, sagt er im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog. Manche Patientinnen würden vom Frauenarzt überwiesen, andere kämen direkt in die Klinik, sagt er. Und bei allen finde zunächst eine ausführliche Risikoabklärung statt.
Teamarbeit ist gefragt
„Die Patientinnen melden sich entweder bei Professor Axt-Fliedner oder bei mir, und wir sehen sie nach terminlicher Vereinbarung dann beide am selben Tag“, sagt Professor Bein. Auf die Risikoabklärung folgt gegebenenfalls die Therapie mit Immunglobulinen. Der Pränatal-Mediziner kümmert sich dann um die Ultraschalluntersuchung und die invasive Therapie. Sobald das Neugeborene auf der Welt ist, ist es bei den Experten der Neonatologie sehr gut aufgehoben.
Das Besondere sei ebendiese sehr enge Kooperation der Spezialisten, sagen die beiden Professoren: Hier am Standort arbeite man sehr forschungsintensiv, aber eben auch klinisch-praktisch: „Wir haben für die Patientinnen eine Ambulanz eingerichtet, eine exzellente Pränatalmedizin – und die Neonatologie“. Dieser Zusammenschluss von Diagnose und Behandlung dieser sehr seltenen Krankheitsbilder sei ein Alleinstellungsmerkmal des Klinikums, betonen die Experten.
Stolz ist man auch auf ein weltweit einmaliges nicht-invasives Verfahren, das es ermöglicht, die Blutgruppen des Fetus aus mütterlichem zellfreien Plasma zu bestimmen. Möglich macht das die sogenannte Sequenzierung von all jenen Gen-Schnipseln, die von der kindlichen Plazenta freigesetzt werden. Dieses Verfahren ist ein Alleinstellungsmerkmal in Gießen, national und auch international. Für die Umsetzung des Projekts gab es unter anderem auch eine Förderung des Mutterkonzerns, der RHÖN-KLINIKUM AG. Dort fördert man gezielt solche Spitzenmedizin, wie die beiden Gießener Spezialisten sie betreiben.
Diagnostische Anfragen habe man Hunderte pro Jahr, sagen die beiden Professoren, einer gezielten Behandlung bedürfen allerdings nur eine geringe zweistellige Anzahl von Patientinnen. „Das Schöne an diesem Krankheitsbild ist: Weder die Mutter noch das Kind sind krank. Es geht letztlich darum, eine kritische Phase während der Schwangerschaft zu überbrücken“, sagt Professor Bein: „Wenn das Kind erst einmal ohne Schaden geboren wurde und gegebenenfalls in der Neugeborenenphase behandelt wurde, sind Mutter und Kind lebenslang wohlauf.“
Und auch für in der Vergangenheit leidgeprüfte Patientinnen gibt es gute Nachrichten: „Wir haben gerade eine Patientin übernommen, die einige Fehlgeburten hatte und kürzlich erstmals einen gesunden Jungen entbunden hat”, erzählt er.
Ihre Experten für Fetomaternale Inkompatibilität:
Professor Dr. Gregor Bein
Leiter des Zentrum für Transfusionsmedizin und Hämotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen
Professor Dr. Roland Axt-Fliedner
Leiter des Zentrum für Pränatale Medizin und Fetale Therapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen