Das Schicksal kann hart sein. Manchmal sehr hart.
Bernhard Gruber ist Bauingenieur, 50 Jahre alt und stammt aus Tirol in Österreich. Vor vier Jahren passierte es. Kurz vor dem Jahreswechsel nahm der Stress im Unternehmen – wie jedes Jahr – erheblich zu. Hier musste eine Baustelle abgenommen werden, dort stand der Jahresabschluss an.
Bernhard Gruber eilte von Termin zu Termin. Ein Leben wie nach Stoppuhr. Auf einer der vielen Baustellen ging es für ihn hoch aufs Dach. Schnell musste es gehen. Doch die Flächen da oben waren vereist, er rutschte aus, fiel vier Meter in die Tiefe.
„Ich ahnte sofort – das war‘s mit dem Rückgrat. Ich spürte die Füße nicht mehr, konnte unten nichts mehr bewegen“, so erinnert sich der Patient auf seinem Bett im Bad Berkaer Querschnittgelähmten-Zentrum.
Dort sitzt er aufrecht, wartet auf den nächsten Therapietermin und erzählt, was die Ärzt:innen alles unternommen hatten, um ihm ein möglichst menschenwürdiges Weiterleben zu sichern. „Ich wurde operiert und kam dann in die Uni-Klinik nach Innsbruck zur Weiterbehandlung. Alle gaben sich sehr viel Mühe, aber durch den Unfall waren meine Nervenstränge nach unten so gut wie gekappt“, erinnert er sich zurück. Und das hatte schlimme Auswirkungen auf die Harnblase und den Verdauungstrakt. „Ich hatte keinerlei Kontrolle mehr über den Unterleib, litt unter permanenter Blasenschwäche und einer so genannten Reflex-Blase.“ Das Schlimme dabei: Es kam zu spastischen Reaktionen im Körper, die den Blutdruck kurzzeitig auf 250 hochtrieben. „Ich saß im Rollstuhl, mit meiner Blase ging es drunter und drüber und ich hatte ständige Angst vor einem Schlaganfall.“ Damals hatte er zu seiner Frau gesagt: „Das wird eine sehr schwere Prüfung für dich!“
Die Ärzt:innen versuchten es mit Medikamenten. So bekam Bernhard Gruber beispielsweise Botox verabreicht. Doch es wurde nicht besser.
Manchmal im Leben kommen Glück und Zufall zusammen. So erfuhren die behandelnden Ärzt:innen von einem Verein europäischer Neuro-Urologen. Dort tauschen hoch spezialisierte Mediziner:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Erfahrungen aus, vermitteln untereinander neue Techniken oder schauen ihren Kollegen während einer Operation über die Schulter.
„Das war mein Glück. So erfuhr ich von dem in Europa wohl einzigartigen Zentrum in Bad Berka, das mit einem Spezialteam die Kunst dieser höchst anspruchsvollen Operation beherrscht, die ich jetzt erfolgreich hinter mir habe.“
Seine ärztlichen Unterlagen wurden in der Bad Berkaer Zentralklinik eingereicht, geprüft und er bekam grünes Licht für den Eingriff. Dabei handelt es sich um eine so genannte sakrale Deafferentation mit Implantation eines Vorderwurzelstimulators. Etwas vereinfacht bedeutet dies: Dieser komplizierte Eingriff wird direkt an den Nerven im Spinalkanal des Rückgrates auf Höhe des Kreuzbeines vorgenommen und dauerte im Falle von Bernhard Gruber mehr als sechs Stunden. Anschließend wird im Unterbauch ein Empfänger unter die Haut eingesetzt, der durch den Patienten selbst über eine Fernbedienung zur Entleerung der Harnblase und des Darmes angesteuert werden kann.
An der Spitze des Teams steht Chefärztin Dr. Ines Kurze vom Querschnittgelähmten-Zentrum/ Klinik für Paraplegiologie und Neuro-Urologie in Bad Berka. Sie ist mit dem Erfolg der Operation sehr zufrieden: „Die Speicherfunktion der Harnblase ist wieder hergestellt, es besteht sichere Kontrolle über die Blasen- und Darmfunktion und auch die Gefahr der Blutdruckspitzen ist endgültig beseitigt. Der Stimulator im Körper ermöglicht es jetzt, die Harnblase kontrolliert und ohne Katheter zu entleeren. Gleiches gilt für die Darmentleerung“.
Chefärztin Frau Dr. Ines Kurze ist in Europa und weltweit seit mehr als 10 Jahren eine der sehr wenigen Expert:innen für diesen anspruchsvollen Eingriff. „Das Ganze funktioniert aber nur mit einem hoch spezialisierten und motivierten Team, denn dies ist ein funktionell-dynamischer Eingriff, der bei jedem Patienten anders verläuft.“ So werden während der Operation ganze Nervenstränge freigelegt und unter wiederholter Stimulation Reaktionen der Blase, des Beckenbodens, der Muskulatur und des Blutdrucks provoziert. Dadurch ist es möglich die winzigen Nerven in motorische und sensible Anteile zu trennen. Die sensiblen (afferenten) Anteile werden durchtrennt und die motorischen (efferenten) Anteile werden in das Elektrodenbuch des sogenannten Vorderwurzelstimulators eingelegt. Dies ist in einer Weise chirurgisch und funktionell anspruchsvoll, dass viele Kolleg:innen, die sich die Operation in Bad Berka angeschaut haben, ihre Patient:innen lieber zu diesem erfahrenen Team schicken, als den Eingriff über mehrere Jahre selbst zu erlernen. In Bad Berka wird auch die Nachsorge übernommen und alle Patient:innen werden individuell betreut.
Bernhard Gruber lobt die hohe Kunst des Ärzte-Teams aus Bad Berka und den großen Erfolg des komplizierten Eingriffes. Und das hat bei dem Tiroler tiefe Spuren hinterlassen – überaus positive. „Ich sitze zwar im Rollstuhl – aber jetzt kann ich wieder Mensch sein.“
Inzwischen hat er vor anderen Patient:innen mit Querschnittslähmung Vorträge gehalten und ihnen Mut gemacht, sich nicht aufzugeben, sondern positiv nach vorn zu schauen. Genauso hält es Bernhard Gruber selbst: „Ab nächster Woche gebe ich daheim und auf der Arbeit wieder Vollgas. Ich freu mich schon – und meine Familie noch viel mehr. Es ist wie ein neues Leben“.
Dann hält er kurz inne und fügt zum Schluss leise hinzu: „Endlich kann ich wieder ins Theater gehen.“
Ihre Expertin der Neuro-Urologie:
Dr. med. Ines Kurze
Fachärztin für Urologie
Chefärztin Querschnittgelähmten-Zentrum/ Klinik für Paraplegiologie und Neuro-Urologie