Die E-Zigarette wird oft als „gesunde Alternative“ zum traditionellen Zigarettenrauchen gesehen. Dabei liegen bislang nur wenig wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über sie vor. Im Interview spricht Prof. Dr. Claus Franz Vogelmeier, Spezialist für Lungenheilkunde und Leiter der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Marburg, über die wenigen gesicherten Fakten, die bisher vorliegen, und liefert Einschätzungen über die in den E-Zigaretten vorhandenen Aromastoffe und den „Passiv-Dampf“. Außerdem gibt er Ratschläge, was bei der Rauchentwöhnung wirklich helfen kann.
Herr Professor Vogelmeier, die E-Zigarette, so ist oft zu lesen, sei eine „gesunde Alternative“ zum traditionellen Rauchen. Würden Sie das so unterschreiben?
Ich finde, für diese Aussage ist es viel zu früh. Derzeit gibt es sehr wenige wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse in diesem Bereich. Grundsätzlich gibt es eine Gruppe von Experten, die die Auffassung vertritt, dass E-Zigaretten gefährlich und somit zu meiden seien, solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch die Kolleginnen und Kollegen, die im Hinblick auf aktuelle wissenschaftliche Fakten zur E-Zigarette zum Schluss kommen, dass das elektrische Rauchen wesentlich weniger gefährlich ist als das traditionelle.
Welche Fakten sind das?
Bei der E-Zigarette wird, im Gegensatz zur normalen Zigarette, nichts verbrannt, sondern es wird etwas verdampft. Demzufolge gibt es hier auch keine Verbrennungsprodukte, die man für viele der gesundheitsschädlichen Wirkungen des Rauchens verantwortlich macht. In der Summe birgt das Rauchen von E-Zigaretten also aller Voraussicht nach weniger Risiken als das klassische Zigarettenrauchen. Aber wie viel weniger das ist und was die Risiken im Einzelnen sind, das lässt sich im Moment noch nicht sicher sagen.
Oft wird das „E-Rauchen“ ja als „kleineres Übel“ gegenüber dem klassischen Rauchen bezeichnet – und als gangbarer Weg, um endgültig vom Rauchen wegzukommen…
Es gibt inzwischen schon Studien, die die E-Zigaretten als Mittel der Raucherentwöhnung untersucht haben. Hier muss man sagen, dass die Evidenz, wie wir Wissenschaftler das nennen, bislang nicht umwerfend ist. Das heißt, es gibt widersprüchliche Daten. Nach allem, was man bisher weiß, ist die Entwöhnungserfolgsrate bei der E-Zigarette nicht wesentlich höher als bei reinen Nikotinersatzpräparaten.
Kommen wir zu den potenziellen Gefahren des E-Rauchens: In E-Zigaretten sind ja Aromastoffe enthalten. Stimmt es, dass diese hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Atemwege wenig untersucht sind?
Das stimmt. Mittlerweile gibt es eine unübersichtlich gewordene Anzahl an Geschmacksbeistoffen, aus denen der Kunde frei wählen kann und über deren Gesundheitsrisiken wir praktisch gar nichts wissen. Grundsätzliches Problem ist: Es gibt nicht die E-Zigarette, sondern mehrere Hundert verschiedene Varianten, unterschiedliche Gerätschaften, die oft auch ganz unterschiedlich aussehen. Manche erinnern an klassische Zigaretten, andere an Pfeifen oder Feuerzeuge. Die unterschiedlichen Produkte setzen auch unterschiedliche Technologien ein.
Viele der bisher untersuchten Liquids, die man in die E-Zigarette füllt, enthalten krebserregende Stoffe wie Formaldehyd, Nickel, Chrom oder Blei – und können angeblich Allergien auslösen…
Es gibt verschiedene Substanzen, die in den Liquids enthalten sind. Aber auch solche, die in den Gerätschaften selbst vorkommen und durch die Allergien ausgelöst werden können. Ein Stoff, der in vielen E-Zigaretten enthalten ist, ist das Propylenglykol, das den Dampf schlussendlich erzeugt. Das kennen die meisten Menschen vom Theater, wo man den Bühnennebel mit diesem Mittel erzeugt. Auch hier gibt es noch Unklarheiten, welche gesundheitlichen Auswirkungen der Stoff haben könnte. Das Besondere an der E-Zigarette ist die Komplexität des Systems mit den vielen Komponenten, die möglicherweise Effekte auslösen können.
Bei der Verdampfung entstehen ultrafeine Partikel, die angeblich auch tief in die Lunge eindringen können. Ist das gefährlich?
Das weiß man nicht. Partikel sind ja gerade in den vergangenen Jahre sehr in Verruf gekommen und werden aktuell heiß diskutiert. Ein Beispiel ist da auch die Debatte um Rußpartikel beim Diesel. Wenn diese durch die Lunge durchgehen, können sie dort Schaden anrichten. Allerdings ist es auch möglich, dass sie von dieser aufgenommen werden und in die Zirkulation gehen und anschließend möglicherweise auch in anderen Organen Schaden anrichten. Auch das ist ein Thema, das wissenschaftlich noch nicht adäquat bearbeitet wurde.
Bekannte Kurzzeitfolgen der Dampf-Inhalation bei E-Zigaretten sollen auch Atemwegsreizungen und Husten, Beeinträchtigung der Lungenfunktion, Augenreizungen, Reizungen des Mundes und Zahnfleischbluten, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit und Schlaflosigkeit sein. Stimmt das?
Es gibt Daten, die darauf hindeuten, dass es akut nach der Anwendung einer E-Zigarette zu einer Verschlechterung der Lungenfunktion kommt. Allerdings sind diese Ergebnisse nicht hochklassig erhoben. Denn es wurde nur eine relativ kleine Zahl von Personen über einen relativ kurzen Zeitraum hinweg beobachtet. Ich würde sagen, dass es auch hier viel zu früh ist, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Angeblich gibt es bei E-Zigaretten keine Kontrollen und keine Produktsicherheit. So sei in als „nikotinfrei“ gekennzeichneten Liquids Nikotin gefunden worden, heißt es zum Beispiel beim „Rauchfrei-Telefon“…
Ja, das ist ein Problem. Wir Mediziner würden uns wünschen, dass es hier stringente Zulassungsregeln gibt, dass der Hersteller der E-Zigarette quasi in der Bringschuld ist und nachweisen muss, dass sein auf den Markt gebrachtes Produkt gesundheitlich unbedenklich ist. Das ist allerdings bisher nicht geschehen. Aktuell herrscht auf dem Markt der E-Zigaretten ein freies Spiel der Kräfte.
Es heißt auch, dass E-Zigaretten durch die Aufrechterhaltung des Rauchrituals dafür sorgen würden, dass es Rauchern nur sehr schwierig möglich wird, den langfristigen Ausstieg aus der Abhängigkeit zu schaffen…
Ja, das ist praktisch die Konterargumentation, die besagt, dass der Prozess des Rauchens bei E-Zigaretten unverändert fortbesteht. Im Gegensatz dazu gibt es die Pro-Argumentation, die nahelegt: Wenn der Patient Nikotin nur noch verdampft, sei das ein Fortschritt.
Beim klassischen Rauchen wird auch immer vom Passivrauchen gewarnt. Ist der „Passiv-Dampf“ bei der E-Zigarette für im Raum befindliche Personen auch gefährlich?
Dazu gibt es meines Wissens derzeit keine verlässlichen Daten. Beim klassischen Rauchen gibt es ja verschiedene Arten von Rauch. Zum Beispiel den, dem der Raucher selbst ausgesetzt ist. Er heißt Hauptstromrauch. Daneben gibt es den sogenannten Nebenstromrauch, den insbesondere andere Personen im unmittelbaren Umfeld abkriegen. Meine persönliche Erfahrung ist, dass man, wenn man neben einer E-Zigarette rauchenden Person steht, nichts riecht, außer vielleicht die Geschmacksstoffe.
Was raten Sie als Experte denn grundsätzlich einem Menschen, der vorhat, mit dem Rauchen aufzuhören?
Der entscheidende Punkt ist, wenn ein Raucher für sich entschieden hat: „Ich will jetzt weg von dem Zeug!“ Dorthin zu gelangen, ist die große Hürde. Ist das geschehen, rate ich dazu, ein regionales Raucherentwöhnungszentrum aufzusuchen, das es in Deutschland an vielen Orten gibt. Entscheidend ist nämlich der ganzheitliche Ansatz. Die betroffene Person braucht nicht nur medizinische Hilfe, sondern unter Umständen auch einen Psychologen, der auf Konzepte der Verhaltenstherapie zurückgreift. Es ist also externe Expertise gefragt, die den entwöhnungswilligen Raucher in seinem Vorhaben unterstützt.
Ihr Experte für Lungenheilkunde:
Prof. Dr. Claus Franz Vogelmeier
Leiter der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Marburg