Im Normalfall schützt uns unser körpereigenes Immunsystem vor all jenen Infektionen, für die Bakterien, Viren oder Parasiten verantwortlich sein können. Leidet man an einer Autoimmunerkrankung, richtet sich dieses allerdings gegen das körpereigene Gewebe. Grund: Die Abwehrkräfte sind falsch programmiert. In der Folge dessen kann es zu Entzündungen kommen, die gravierende Folgen für die Gesundheit haben können.
Die häufigsten Autoimmunerkrankungen sind Schuppenflechte, Rheuma, Darmerkrankungen, Multiple Sklerose und der Diabetes-Typ 1. Doch es gibt noch weitaus mehr: Medizinforscher zählen zwischen 60 und 80 verschiedene Arten auf. Je nach Erkrankung kann ein bestimmtes Organ oder der gesamte Körper betroffen sein. Studien legen nahe, dass etwa drei Prozent der Bevölkerung weltweit an Autoimmunkrankheiten leiden, in Deutschland sogar vier bis fünf.
Professor Dr. Michael Hertl ist Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg. Er weiß: Autoimmunerkrankungen haftet noch immer der Makel an, lebensbedrohlich zu sein oder zumindest die Lebensqualität massiv zu beeinträchtigen. Dabei gibt es mittlerweile gute Möglichkeiten, viele unter ihnen wirksam zu behandeln, sagt der Dermatologe im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog.
Gerade als Hautarzt sei er Spezialist dafür, den oft tückischen Autoimmunerkrankungen auf die Schliche zu kommen: „Unsere Haut ist ein Signalorgan. Viele Empfindungen, die den Körper insgesamt betreffen, sich also in den verschiedensten Organen abspielen, zeichnen sich häufig zuerst auf der Haut ab.“
Taugt die Haut denn bei allen Autoimmunerkrankungen als Indikator?
Nicht bei allen. Bei der Multiplen Sklerose zum Beispiel, einer reinen Nervenerkrankung, ist die Haut in der Regel nicht betroffen.
Wer leidet besonders häufig an Autoimmunerkrankungen?
Grundsätzlich muss man sagen, dass es sich um selten auftretende Erkrankungen handelt, die häufiger Frauen als Männer betreffen. Außerdem treten sie meist im jugendlichen bis mittleren Lebensalter auf, seltener im Kindesalter. Es gibt auch einige wenige Erkrankungen, die Menschen im sehr fortgeschrittenen Erwachsenenalter bekommen.
Was sind die Symptome?
Hautrötungen zum Beispiel, oder Lichtempfindlichkeit der Haut, gestörte Hautstablilität, also die sogenannte Hautfragilität oder -empfindlichkeit, Blasenbildung, Hautverdickung, vermehrte oder verminderte Pigmentierung, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, grippale Symptome, Gewichtsverlust, Konzentrationsschwäche, oder auch Nachtschweiß.
Auf was deutet zum Beispiel die von Ihnen genannte Lichtempfindlichkeit hin?
Wenn Hautbereiche, die dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, gerötet und entzündet sind, kann das ein Hinweis auf sogenannte Bindegewebsautoimmunerkrankungen sein, zum Beispiel die Schmetterlingsflechte.
Wie können Sie als Hautarzt in solch einem Fall konkret helfen?
Zunächst können wir anhand der Entnahme einer Probe die Entzündung und krank machende Eiweiße in der Haut nachweisen. Diese Gewebeuntersuchung hilft gegebenenfalls, den klinischen Verdacht auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu bestätigen.
Was ist der nächste Schritt?
Etwa der Nachweis von sogenannten antinukleären Antikörpern im Blut. Anschließend prüfen wir zum Beispiel die Entzündungs-, Gerinnungs-, Nieren- und Leberwerte im Blut. Zudem lässt sich prüfen, ob die Blutbildung beeinträchtigt ist, also die Produktion weißer oder roter Blutkörperchen, oder die der Blutplättchen. Manche Patienten haben auch neurologische Symptome, leiden also zum Beispiel an einer Psychose, andere möglicherweise an Herzrhythmusstörungen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Haut erste Hinweise auf möglicherweise im Inneren des Körpers vorliegende Krankheitsbilder geben kann.
Das ist der Punkt, an dem Sie beginnen, mit Kollegen aus anderen Fachbereichen zusammenzuarbeiten…
Uns Hautärzten geht es um interdisziplinäre Zusammenarbeit, mit Internisten, insbeondere Rheumatologen, Nephrologen, Gastroenterologen und Neurologen. Einige Symptome kann man nur gemeinsam angehen.
Sind die Patienten, die zu Ihnen kommen, über Autoimmunerkrankungen grundsätzlich eher gut oder schlecht informiert?
Viele haben den Ausdruck noch nie gehört. Andere verbinden mit dem Wort Ängste. Oft kommt es auch vor, dass Patienten sich im Vorfeld im Internet informieren – und dadurch noch verängstigter werden. Im Netz werden oft sehr drastische Verlaufsformen vorgeführt, um die Krankheitsbilder in ihrer vollen Breite erkennbar zu machen.
Also lieber gleich direkt zum Arzt?
Ja. Der Arzt kann helfen, das Problem gezielt einzuordnen. Die Recherche im Internet schürt aus Erfahrung oft Ängste und Verzweiflung, die schlicht nicht nötig sind. Die Angst vor Autoimmunerkrankungen ist heute meistens unbegründet, weil es sehr gute Möglichkeiten gibt, gezielt bestimmte Entzündungsprozesse zu beeinflussen.
Sie behandeln nicht nur, Sie forschen auch…
Aktuell sind wir international führend mit einer Studie, anhand der wir versuchen, eine schwere Autoimmunerkrankung mit Blasen an der Haut und Schleimhaut gezielt an der Wurzel zu packen, um den Umgang mit ihr in den Griff zu kriegen.
Was tun Sie da genau?
Wir versuchen, diejenigen Zellen des Immunsystems lahm zu legen, die diese Krankheit ganz spezifisch auslösen. Das Projekt finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Grundsätzlich ist es unser Ziel, nicht nur Symptome zu behandeln, sondern gezielt zu versuchen, Krankheiten zu heilen – oder eben erst gar nicht entstehen zu lassen.
Ihr Experte für Hautkrankheiten:
Prof. Dr. Michael Hertl
Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg