Menschen, die für den Rettungsdienst arbeiten, stehen unter massivem Stress. Neben der physischen besteht auch eine große psychische Belastung, die sich mitunter nur schwer aushalten lässt.
Gerade Männer sind in Gefahr, dauerhaft zu erkranken, weil sie über Erlebtes oftmals sehr viel weniger mit ihren Kollegen kommunizieren, als Frauen das tun.
Als Notarzt im Rettungsdienst und Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie weiß Dr. Alexander Unger vom RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt genau, über was er spricht. Er ist zudem ausgebildeter systemischer Coach und Resilienz-Trainer. Gerne bietet er Betroffenen in Akutsituationen auch seine Hilfe an, wie er im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog sagt.
Einer der strategischen Bausteine, der Mitarbeitenden des Rettungsdienstes konkret helfen soll, ist zudem das Projekt „RUPERT“ (foRUm für Psychische gEsundheit im deutschen RetTungsdienst), das sich selbst als „Unterstützung zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Rettungskräften“ versteht. Das Angebot beinhaltet einzelne Module mit dem Schwerpunkt Männergesundheit, weil Untersuchungen im medizinischen Bereich zeigen, „dass bei Männern eine erhöhte Angst vor Stigmatisierung“ besteht, und „größere Schwierigkeiten, Hilfe in Anspruch zu nehmen“.
Des übergeordnete Fundraising-Projekts „Movember“, das sich für „mehr Männergesundheit“ einsetzt – ist thematisch noch weiter gefasst: „Wir nehmen es mit psychischer Gesundheit, Selbstmord, Prostatakrebs und Hodenkrebs auf“, heißt es auf der Website.
Eine Aktion der Initiative ist derzeit der sogenannte „Orden des Schnurrbarts“. Die Idee dahinter: Männer sollen sich im Lauf des Monats November einen Schnurrbart wachsen lassen. Dieser sei „ein mächtiges Symbol für gesündere Männer und eine gesündere Welt“. Er soll andere „faszinieren und in seinen Bann ziehen“, „damit du lebensrettende Gespräche über die Männergesundheit anregen kannst“, wie es auf der Website von „Movember“ heißt.
Im Folgenden spricht Dr. Unger über die Aktion, aber in erster Linie über die Belastungen der Mitarbeiter im Rettungsdienst und der Notaufnahme, sowie darüber, warum Männer hier besonders anfällig für psychische Erkrankungen sind – und wie eine gelungene Zusammenarbeit aussehen könnte.
Herr Dr. Unger, was sind die Ereignisse, unter denen Sie und Ihre Kollegen im Rettungsdienst am meisten leiden?
Besonders die, bei denen Menschen sterben. Insbesondere ist es dann dramatisch, wenn Kinder darunter sind. Schlimm sind auch immer Massenunfälle. Also solche, bei denen es viele Schwerverletzte gibt. Oftmals ist auch die Tätigkeit selbst schwierig, besonders dann, wenn es draußen dunkel und kalt ist. Natürlich ist es meistens auch sehr hektisch. Auch als Notarzt kann man sich an diese Situationen nie wirklich gewöhnen. Dementsprechend belastet die Tätigkeit natürlich besonders psychisch. Gedanken, die bei schlimmen Unfällen unweigerlich aufkommen, sind solche wie: „Was wäre, wenn das hier mein eigenes Kind oder mein Familienmitglied gewesen wäre?“ Grundsätzlich ist natürlich auch immer schlimm, wenn man nicht mehr helfen bzw. retten kann.
Warum fokussiert das Projekt „RUPERT“ auf Männer?
Es gibt viele Studien dazu, aber auch meine eigene Erfahrung legt den Schluss nahe, dass Männer eher nicht über ihre Probleme sprechen. Sie neigen also dazu, viel „mit sich selber auszumachen“, wie man das landläufig nennt. Vor sich selbst wird dann oft nach dem Muster argumentiert: „Es geht ja um medizinische, berufliche Dinge, das würden andere ohnehin nicht wirklich verstehen.“ Aber das sind natürlich vorgefertigte Ausreden vor sich selbst. Daneben gibt es außerdem ja noch die Schweigepflicht. Grundsätzlich glaube ich auch, dass es vielen von uns Männern einfach nicht gegeben ist, abstrakt zu reden. Hier fängt das Problem schon mal an. Ein weiteres Problem ist die fehlende oder stark reduzierte Zeit für das Debriefing, also die Besprechungen im Team über den gemeinsamen Einsatz. Über alles hinweg liegen wohl auch die Gründe dafür, dass die Suizid-Rate bei Männern drei Mal höher ist als bei Frauen.
Wo setzt das Projekt an?
Das Projekt „RUPERT“ ermöglicht es, dass Betroffene bei einer Hotline anrufen können, und ganz einfach sagen können: „Ich habe da ein Problem.“ Am anderen Ende der Leitung sitzt ein ausgebildeter Sozialarbeiter oder Psychologe. Im „schlimmsten“ Fall war es am Ende einfach ein kurzes Gespräch gegen das Alleinsein oder gegen das Sich-allein-Fühlen. Ziel ist also, das, was man „initialen Druck“ nennen kann, rauszunehmen aus dem ganzen Komplex. Wichtig ist, dass das alles völlig anonym passiert. Man muss also keine persönlichen Daten preisgeben – und kann sich geschützt fühlen. Online gibt es auch ein Diskussionsforum, um sich auszutauschen.
Ist Ihre Erfahrung, dass Frauen grundsätzlich häufiger kommunizieren und über sie belastende Themen sprechen, als Männer das tun?
Absolut. Da trinkt man häufiger mal eine Tasse Kaffee zusammen. Es sind oftmals diese kleinen Dinge, die Druck abbauen und ein gesundes Miteinander fördern.
Für wie wichtig halten Sie das Thema psychische Gesundheit in Bezug auf die gesamte Gesundheitsbranche?
Das Thema betrifft natürlich nicht nur den Rettungsdienst, sondern alle Mitarbeitende des Gesundheitssystems. Im Klinikbereich zum Beispiel besonders diejenigen Mitarbeitende, die auf der Palliativstation arbeiten, also dort, wo Menschen bis zum Tod betreut werden. Oder das Personal auf der Intensivstation. Aktuell ist aber der psychische Druck auf das gesamte aktive Personal der Kliniken sehr hoch.
Gibt es Unterstützung fürs Personal?
Ja, zum Glück. Viele Mitarbeiterbereiche haben sogenannte Peer Groups. Hier setzt man sich regelmäßig zusammen und spricht miteinander über den klinischen Alltag, das Erlebte, und die tägliche Routine. Die sogenannte „Psycho-Hygiene“ muss eine immer größere Rolle spielen!
Den Mitarbeitenden der RHÖN-KLINIKUM AG steht außerdem das Angebot des Fürstenberg Instituts zur Verfügung. Egal ob familiäre Konflikte, berufliche Probleme oder persönliche Ängste – der Service des Fürstenberg Instituts bietet kostenlos und unbürokratisch Beratung und Vermittlung zu allen Themen. Das Besondere dabei ist, dass sich Mitarbeitende mit ihrem Anliegen bei Bedarf nicht an Vorgesetzte oder Kollegen wenden müssen, wenn eben genau das gerade schwerfällt.
Für persönliche Beratungsgespräche vereinbart man einen Beratungstermin. Die Gespräche – bei Bedarf auch in anderen Sprachen – finden telefonisch oder online statt – je nachdem, was dem Mitarbeitenden lieber ist. Die Mitarbeiterberatung sowie der Work-Life-Service bietet damit eine optimale Ergänzung zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und weiteren internen Anlaufstellen.
An dieser Stelle setzt auch das Projekts „RUPERT“ an, das von der Aktion „Movember“ unterstützt wird …
Grundsätzlich hat sich die Aktion „Movember“ auf die Fahnen geschrieben, Männergesundheit zu fördern und für mehr Miteinander zu werben. „Aufmerksamkeit erzeugen“ lautet das Leitprinzip. Die Idee hinter der Schnurrbartaktion ist die folgende: Männer, die hinter dem Projekt stehen und es unterstützen möchten, lassen sich im November einen Schnurrbart wachsen, der heutzutage so selten geworden ist, dass man wahrscheinlich direkt auf ihn angesprochen wird. Und diese Gelegenheit nutzt man dann, um auf das Projekt hinzuweisen und aufmerksam zu machen. Es geht also wie erwähnt darum, ins Gespräch zu kommen und ein Bewusstsein für die psychische Belastung im Rettungsdienst zu fördern. Und im Idealfall kommen Betroffene dann auch auf die Idee, sich professionelle Hilfe zu holen. Wir Menschen sind keine Maschinen. Das müssen wir uns einfach alle einmal klarmachen. Wir können nicht nur „funktionieren“. Es geht darum, sich verstanden zu fühlen, und andere zu verstehen. Und es geht um gegenseitige Wertschätzung.
Interview im Rahmen des Aktionsmonats Movember
Ltd. OA Dr. med. Alexander Unger
MBA / M.Sc. Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Handchirurgie spezielle Unfallchirurgie – spezielle Schmerztherapie – Sportmedizin
Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie, Schulterchirurgie und Endoprothetik am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt