In diesem Jahr hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Ernährungsempfehlungen für Deutschland überarbeitet. Neben dem Fokus auf eine gesunde Ernährung wurden nun auch Umweltaspekte berücksichtigt.
Im Gespräch mit der Leiterin der Ernährungspraxis, Ernährungsmedizinerin Dr. Nagham Soda vom RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt, klärt der RHÖN-Gesundheitsblog die wichtigsten Fragen zum Thema.
Frau Dr. Soda, vielleicht beginnen wir mit etwas Grundsätzlichem. Was sollte jeder von uns über Ernährung wissen?
Empfohlen wird eine pflanzenbetonte Ernährungsweise. Das heißt, drei Viertel der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, sollten pflanzlicher Herkunft sein. Der Rest kann tierischen Ursprungs sein. Wir sollten vor allem Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte sowie pflanzlichen Öle konsumieren. Damit wird die Gesundheit geschützt, und gleichzeitig werden die Ressourcen der Erde geschont.
Für wen sind die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung denn grundsätzlich gedacht?
Für gesunde Erwachsene (18 bis 65 Jahre), die Mischkost zu sich nehmen. Personen, die an einer Krankheit leiden, sind nicht die primäre Zielgruppe. Für Kinder, Senioren, Schwangere und Stillende soll laut DGE demnächst eine angepasste Form veröffentlicht werden. Wichtig ist auch zu wissen, dass die Empfehlungen keinesfalls eine professionelle Ernährungsberatung ersetzen. Empfehlungen sollten immer individuell adaptiert werden!
Gibt es denn wesentliche Neuerungen hinsichtlich der Empfehlungen, was man essen soll?
Ja, die Lebensmittelgruppe „Hülsenfrüchte und Nüsse“ hat jetzt einen festen Platz auf dem Empfehlungskreis bekommen. Das halte ich für sehr sinnvoll. Zudem sind Obst und Gemüse bisher als getrennte Bereiche erfasst worden. Das hat sich jetzt geändert. Die pro Tag empfohlenen insgesamt fünf Portionen sind geblieben, allerdings wird nicht, wie vorher, aufgeschlüsselt, dass es mindestens drei mit Gemüse und zwei mit Obst sein sollen. Jetzt werden diesbezüglich keine spezifischen Vorgaben mehr gemacht, so kann das jeder individuell handhaben. Ich rate allerdings weiterhin zu mehr Gemüse, und eher weniger Obst.
Ist das Umsetzen dieser Empfehlung schwierig?
Fakt ist: Es gibt Menschen, die mehr als fünf Mal am Tag Obst essen – was nicht unbedingt sinnvoll ist. Und es gibt Leute, für die „Gemüse“ oder „Obst“ wie Fremdwörter klingen. Ich würde sagen, dass man lernen kann, mehr pflanzliche Lebensmittel zu verzehren. Jeder kann sich an eine gesunde Ernährung nach und nach „herantasten“. Es geht also darum, nichts zu überstürzen. Jemand, der plötzlich anfängt, Übermengen an Ballaststoffe zu sich zu nehmen, wird unweigerlich Bauschmerzen bekommen. Die eigene Ernährung nachhaltig umzustellen gelingt erfahrungsgemäß am besten Schritt für Schritt.
Lassen Sie uns etwas hereinzoomen: Was genau ist denn eigentlich „eine Portion“, von der die Deutsche Gesellschaft für Ernährung spricht?
Die Definition ist, was in eine Hand passt, ist eine Portion. Wer klein ist, hat eher kleine Hände, wer groß ist, eher große. Von daher definiert die eigene Hand eine individuell geeignete Portion ausgezeichnet. Konkret heißt das zum Beispiel, dass ein kleiner Apfel, der in eine Hand passt, eine Portion darstellt. Ist der Apfel größer, sind es zwei Portionen. Es ist also nicht schwer, auf die empfohlenen fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag zu kommen.
Von einer „Portion“ ist auch im Hinblick auf Nüsse die Rede. Ist es schlimm, wenn man ein bisschen mehr isst?
Bei Nüssen sprechen wir von täglich „einer Hand voll“, was ungefähr 25 Gramm entspricht. Isst man mehr, sollte man auch die Kalorienanzahl berücksichtigen. Gerade bei Nüssen, die davon ja viel enthalten. Natürlich kann man auch von gesunden Lebensmitteln zunehmen. Ich kenne Beispiele von Patienten, die es zwar geschafft haben, ihre Ernährung auf „gesund“ umzustellen. Sie haben aber jetzt das Problem, dass sie „zu viel des Guten“ essen.
Sie haben es vorhin schon angedeutet… Lieber mehr Gemüse, oder mehr Obst?
Ich würde dazu raten, Gemüse den Vorzug zu geben. Einfach weil Obst in der Regel sehr viel Fruchtzucker enthält. Besonders konzentriert nehmen wir diese Fruktose in Getränken auf, weswegen ich von Obstsäften oder Obst-Smoothies im Übermaß abrate. Außerdem gilt: Grundsätzlich sollte man Obst am besten immer essen, und nicht trinken. Auf diese Weise verhindert man in der Regel ganz automatisch ungesund große Mengen. Ein Beispiel: Niemand würde vermutlich auf die Idee kommen, mehrere Orangen auf einmal zu essen. Wenn wir hingegen ein Glas Orangensaft trinken, tun wir im Endeffekt genau das: Wir nehmen den Zucker von einer ganzen Reihe von Orangen auf einmal auf. Zusätzlich gehen die wertvollen Ballaststoffe, die in Obst sind, durch das Entsaften fast komplett verloren.
Gibt es Empfehlungen, welches Obst und Gemüse man bevorzugt essen sollte?
Man sollte, sofern möglich, immer saisonal und regional essen. Das dient sowohl der Gesundheit als auch der Umwelt. Ich rate auch immer dazu, viele verschiedene Sorten zu essen. Möglichst bunt sollte es auf dem Teller sein. Saisonales zu kaufen ist auch deshalb sinnvoll, weil die Natur ziemlich genau weiß, was wir Menschen zu welcher Jahreszeit an Nährstoffen und Vitaminen brauchen. Im Winter zum Beispiel werden Orangen und Zitronen geerntet, und diese liefern uns das gerade zur Erkältungszeit wichtige Vitamin C in größeren Dosen. Gut zu wissen ist auch, dass es Gemüse- und Obst-Sorten gibt, die sogar mehr Vitamin C enthalten als Orangen bzw. Zitronen. Das sind zum Beispiel rote Paprika, verschiedene Kohlsorten, Brokkoli, Meerrettich, und schwarze Johannisbeeren. All das wächst bei uns in der Region.
Was sollte man generell hauptsächlich trinken?
Da bleiben die Empfehlungen die alten: Gesunde Erwachsene sollten rund 1,5 Liter Wasser pro Tag trinken, oder andere ungesüßte Getränke wie Kräuter- oder Früchtetees. Wer Sport treibt oder anderweitig viel schwitzt, sollte natürlich mehr nehmen. Limonade, Softdrinks, zuckergesüßte Getränke und Alkohol sind nicht empfehlenswert. Wenn Fruchtsäfte, dann am besten frisch, in kleiner Menge, und immer verdünnt mit Wasser trinken.
Woran kann man merken, ob man zu wenig trinkt?
Erstes Anzeichen ist einfach der Durst. Er wird erfahrungsgemäß leider oft ignoriert. Auch Konzentrationsprobleme, Kopfschmerzen und Schwindel sowie dunkle Urinfarbe können ein Hinweis darauf sein, dass man zu wenig trinkt. Solche Symptome können allerdings auch auf andere Problematiken hinweisen, hier muss man aufpassen!
Lassen Sie uns über Fleisch reden. Wie viel darf es da sein?
Die empfohlene Menge ist hier reduziert worden. Vorher hieß es, man rate zu 300 bis 600 Gramm pro Person und Woche. Das ist jetzt zu „maximal 300 Gramm“ geändert worden. Umgerechnet würde das also bedeuten, zwei Mal pro Woche 150 Gramm Fleisch zu sich zu nehmen. Wichtig ist auch zu wissen, dass hiermit alle Sorten von Fleisch abgedeckt sind, also auch verarbeitete, wie Wurst.
Sollte man eher weißes oder rotes Fleisch essen?
Da gibt es keine direkten Angaben von Seiten der DGE. Sondern einen Hinweis. In der Empfehlung steht: „Zu viel Fleisch von Rind, Schwein, Lamm und Ziegen und insbesondere Wurst erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Darmrisiko.“ Wir wissen auch, dass rotes Fleisch, vor allem Schweinefleisch, viele Omega-6-Säuren enthält, die Entzündungen begünstigen. Deshalb hiervon besser weniger essen! Selber würde ich zu weißem Fleisch tendieren, weil es magerer ist. Und in Bezug auf das Darmkrebs-Risiko ist weißes Fleisch auch die gesündere Wahl. Das bedeutet aber nicht, dass man rotes Fleisch gänzlich vom Ernährungsplan streichen muss. Alles sollte in Maßen genossen werden. Und auf die Qualität des Fleisches würde ich achten. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit sollte man auf dem Radar haben, dass die Produktion von Fleisch- und Wurstwaren die Umwelt deutlich stärker belastet als die von pflanzlichen Lebensmitteln.
Was ist mit Fisch?
Hier wird zu ein bis zwei Mal pro Woche geraten. Fisch enthält viel Eiweiß, Jod, und die gesunden Omega-3-Fettsäuren, die besonders bei den fettreichen Seefischen wie Lachs, Hering und Makrele vorkommen. Und: Bitte beim Kauf von Fisch auf die Qualitäts-Siegel achten!
Bleiben wir beim Thema Proteine: Was rät die DGE in Bezug auf Milchprodukte?
Die sollte man jeden Tag zu sich nehmen. Hier gibt es auch eine Änderung. Zuvor war die Rede von drei Portionen pro Tag, mittlerweile sind es nur noch zwei. Zwar enthalten Milchprodukte neben Calcium und Vitaminen auch Eiweiß. Wobei man wissen sollte, dass natürlich auch andere Lebensmittel Proteine liefern, in erster Linie Hülsenfrüchte. Auch das dürfte ein Grund sein, weswegen die DGE die Nüsse und Hülsenfrüchte, also zum Beispiel Soja, Bohnen, Linsen und Erbsen, jetzt als wichtiger einstuft. Also: Pflanzliches vor Tierischem! Weitere pflanzliche Alternativen als Eiweißquelle sind Getreide und „Pseudogetreide“ wie Amaranth, Dinkel, Quinoa oder Hafer.
Auch hier die Frage: Was gilt bei Milchprodukten als „Portion“?
Zum Beispiel ein Becher Joghurt (150 Gramm), ein Glas Milch, oder eine Scheibe Käse.
Auch noch ein wichtiger Proteinlieferant: Eier. Wie viele sollten es da pro Woche sein?
Tatsächlich nicht mehr als eines pro Woche. Nicht mitgezählt werden allerdings die Eier, die im Kuchen oder in Nudeln sind. Dieses eine Ei entspricht übrigens der Menge, die durchschnittlich in Deutschland verzehrt wird. Diese Portionsangabe beruht also weder auf einer Begrenzung aus gesundheitlichen Gründen (im Hinblick auf Cholesterin) noch auf Nachhaltigkeitskriterien. Bisher hatte die allgemeine Empfehlung „maximal drei“ gelautet. Mein Tipp: Weniger Kuchen essen, und lieber Vollkornnudeln (ohne Ei-Zusatz) verzehren! Dann sind zwei Eier zum Frühstück auch kein Problem. Gute Alternativen sind auch Nudeln aus Hartweizen oder Erbsen. Mittlerweile gibt es eine große Auswahl an Produkten, die viel Eiweiß enthalten und gut sättigen.
Manchmal ist die Rede davon, dass gewisse Kombinationen von Lebensmitteln für den Körper besonders gut seien…
Ja, der Körper kann bestimmte Kombinationen besonders gut aufnehmen, vor allem Mischungen aus pflanzlichen und tierischen Aminosäuren (Eiweiß). Isst man zum Beispiel eiweißreiches Vollkornbrot mit eiweißreichem Quark, kann der Körper die Nährstoffe sehr gut aufnehmen. Das gilt auch für die Kombination Kartoffeln und Quark, oder Eier und Kartoffeln. Man spricht hier von einer erhöhten Bioverfügbarkeit.
Zum Schluss noch die Themen Zucker und Salz. Gibt es diesbezüglich neue Ernährungstipps?
Es bleibt die Empfehlung, nicht zu viel Zucker und Salz zu sich zu nehmen. Wichtig ist zu wissen, dass viele Lebensmittel, oftmals versteckt, erhöhte Mengen Salz und Zucker enthalten. Auch solche, bei denen wir es vielleicht nicht erwarten würden. Dazu gehören fast alle hochverarbeiteten Produkte, also etwa Wurst, Salami, Ketchup, Tiefkühlpizza, Gebäck, Süßwaren, und alle Fertigprodukte bzw. Fastfood. Ein kleiner Tipp zum Salzsparen: Erst dann das Essen nachzusalzen, wenn ich es wirklich abgeschmeckt habe. Also bitte nicht im Affekt zum Satz greifen! Als gesunder Snack oder als kleine Mahlzeit rate ich zu Gemüse-Sticks mit Quark. Oder Natur-Joghurt mit frischem Obst.
Zum Ende wollen wir den Blick noch etwas weiten. Welche Tipps haben Sie noch, die mit dem Thema Ernährung zusammenhängen?
Zu einem gesunden Lebensstil gehört neben gesunder Ernährung auch ausreichend Bewegung. Zudem halte ich es für sehr wichtig, dass man das Essen genießt, idealerweise mit anderen gemeinsam. Und dass man in Ruhe isst, und nicht zwischen Tür und Angel. Beim Einkaufen finde ich es vorausschauend, wenn man nur das kauft, was man wirklich vorhat, bald zu essen. Lebensmittel wegschmeißen muss nicht sein!
Ihre Expertin für gesunde Ernährung:
Dr. Nagham Soda
Ernährungsmedizinerin, Leiterin der Ernährungspraxis am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt