Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit, die unterschiedlichste Ursachen haben kann. Da braucht es Experten wie Dr. Thilo Hennecke und sein Team, die aus langjähriger Erfahrung alle Formen der Erkrankung kennen.
Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder) und hat gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Frank Hoffmann, der das Fachgebiet Unfallchirurgie abdeckt, das Zentrum für Muskulo-Skelettale Medizin gegründet, das sich unter anderem mit dem Themenkomplex Wirbelsäulenerkrankungen beschäftigt.
Ihr erklärtes Ziel: Gemeinsam mit den Neurochirurgen jeder Patientin und jedem Patient mit Rückenschmerzen bestmöglich zu helfen. „Viele Betroffene sind sie in ihrem Leben sehr eingeschränkt“, sagt Dr. Hennecke: „Einfach deswegen, weil sie große Schmerzen haben, wenn sie sich längere Zeit bewegen.“
Während manche Formen der Erkrankung nur operativ gelöst werden können, gibt es allerdings auch Typen, die jeder anhand sinnvoller Maßnahmen und einer Portion Disziplin selbst in den Griff bekommen kann:
„Was ich allen, die das Experiment wagen, tatsächlich versprechen kann: Wenn Sie es hinkriegen, sich zwei bis drei Mal pro Woche ausreichend zu bewegen, wird es Ihnen sicher bald besser gehen!“, sagt Dr. Thilo Hennecke.
Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht Dr. Hennecke über das, was er „Überwindung der Trägheit durch Eigeninitiative“ nennt, über die Folgen von Übergewicht – und seine Auffassung von gesunder Ernährung.
Herr Dr. Hennecke, bitte geben Sie uns einen Überblick: Welche Arten von Rückenschmerzen unterscheiden Sie als Experte?
Da wären zum Beispiel die, die Betroffene besonders nachts und morgens spüren. Wir sprechen hier von einem „morgendlichen Anlaufschmerz“. Diese Art von Schmerzen nimmt dann im Lauf des Tages oftmals etwas ab. Eine andere tritt akut und plötzlich nach einer Fehlbewegung oder Fehlbelastung auf. Sie kann dann auf den gesamten Rücken und sogar bis in die Beine „ausstrahlen“. Der Volksmund nennt das „Hexenschuss“. Eine dritte Form von Rückenschmerz ist die chronische, degenerative Form, die bei Belastung immer weiter nach unten in die Beine zieht. Hier kommt es dann oftmals dazu, dass die Gehstrecke, die Betroffene zurücklegen können, massiv eingeschränkt wird. Dazu kommen noch Rückenschmerzen bei Bandscheiben-Entzündungen oder solche, die nach Fehlstellungen auftreten. Und solche, die auf Knochenentkalkungskrankheiten wie Osteoporose zurückzuführen sind. Die Thematik ist also sehr vielschichtig und erfordert genaues Differenzieren bei der Diagnosestellung und Behandlung.
Was ist Ihre Antwort als Klinik auf diese oft komplexen Beschwerden?
Wir haben hier am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder) mit der Gründung des Zentrum für Muskulo-Skelettale Medizin reagiert, also einem Bereich, der sich ganz auf das Thema Wirbelsäule konzentriert. Dieses „Wirbelsäulen-Zentrum“ besteht aus der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie und der Klinik für Orthopädie. Die Idee war, diese oftmals thematisch überlappenden Fachbereiche optimal miteinander zu verknüpfen. Gerade auch verunfallte Menschen profitieren davon, und auch ältere Menschen, die zum Beispiel gestürzt sind. Ein großes Thema ist mittlerweile aber eben auch die Wirbelsäulenchirurgie, die über die Jahrzehnte von sehr vielen unterschiedlichen Fachbereichen betreut worden ist. Wir haben den Anspruch, die Kompetenzen all dieser Fachgebiete zusammenzuführen. Hier arbeiten Neurochirurgen, Orthopäden und Unfallchirurgen Hand in Hand. Und natürlich unterstützen uns auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Neurologie und Schmerztherapie. Gut aufgehoben sind hier also alle Menschen mit Rückenschmerzen. Egal, ob es sich dabei um akute, traumatische, degenerative und osteoporotische handelt.
Wie häufig kommen diese verschiedenen Formen der Erkrankung denn eigentlich vor?
Von 100 Betroffenen haben Schätzungen zufolge 85, also der Großteil, einen sogenannten unspezifischen Rückenschmerz. Der ist meistens auf eine Fehlhaltung oder Übergewicht zurückzuführen. Unter einem sogenannten spezifischen Rückenschmerz, der bis hinunter in die Beine „abstrahlt“, leiden die restlichen 15 bis 20 Prozent der Menschen.
Wie gehen Sie mit den „spezifischen“, also eher schweren Fällen um?
Sie werden von den Fachärztinnen und -ärzten für Orthopädie, Unfallchirurgie und Neurochirurgie zunächst konservativ behandelt. Sollte das nicht weiterhelfen, können Operationen unter Umständen sinnvoll sein. Das ist allerdings nur in ein bis zwei Prozent der Fälle notwendig. Mit anderen Worten: Der Hauptfokus liegt auf den unspezifischen Rückenschmerzen.
Wer ist von diesen besonders betroffen?
Die meisten Personen, die das betrifft, sind über 50, viele auch über 60. Die Ursache für solche später im Leben auftretenden Rückenschmerzen findet sich allerdings oftmals schon wesentlich früher im Leben. Eines der Grundprobleme ist sicher die mangelnde Bewegung vieler Menschen, gerade von solchen mit Bürojob. Eine muskulöse Konditionierung, die zur Vermeidung von Rückenschmerzen sinnvoll ist, findet hier also wenig bis nicht statt.
Was ist ihr Tipp, um diesen Problemen so früh wie möglich vorzubeugen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Die einen gehen gerne Tanzen – was gesund ist, weil es eine bestimmte Haltung des Körpers erfordert. Andere spielen gerne Fußball oder Volleyball, was natürlich auch sinnvoll ist. Jede Art von Bewegung und Training ist erst einmal gut.
Wie viel Bewegung sollte es denn sein?
Ich würde pro Woche mindestens zwei Mal jeweils eine Stunde empfehlen. Es kann, wie gesagt, alles sein: Auch Schwimmen, Wandern, Fahrradfahren, Joggen, Walken… Wichtig ist eine körperlich leichte bis mittlere Belastung. Viele Menschen, die mit chronischen Rückenschmerzen zu mir kommen, haben sich in der Regel viel zu lange nicht regelmäßig ausreichend bewegt. Sie sind quasi „de-konditioniert“. Zudem muss man sagen, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Menschen an Übergewicht leidet.
Welche konkreten körperlichen Folgen hat dieses Übergewicht?
Physikalisch betroffen sind vor allem die drei untersten Bandscheibensegmente. Grundsätzlich muss man wissen: Nur eine gute Bauch- und Rumpfmuskulatur kann die Wirbelsäule auf Dauer stabil halten. Im Idealfall ist es so, dass sich die Bauchmuskulatur zusammenzieht, während die hintere, lange Rückenmuskulatur gedehnt werden muss. Nur dann gelangt der Mensch zu einer relativ geraden Haltung. Das Fett, das sich bei Menschen mit Übergewicht häufig im Bauch anlagert, zieht den Körper allerdings permanent nach vorne, also in die falsche Richtung. Das wiederum beansprucht die Rückenmuskulatur extrem. Einfach weil sie ständig versucht, die Wirbelsäule gerade zu halten. Der Körper ist also quasi aus der Balance. Ziel muss es dann sein, diese Balance wieder herzustellen. Nur dann können wir die Rückenschmerzen in den Griff bekommen. Auch hier steht wieder im Zentrum: Aufrechter Gang, Training – und vor allem: Gewichtsreduktion.
Zu welcher Art von Training raten Sie?
Ziel muss es sein, die Bauchmuskulatur zu trainieren. Und die Schultermuskulatur sollte gedehnt werden. Das ergibt dann die typische gerade Haltung, die die Wirbelsäule maximal entlastet. Auf der anderen Seite führt eine dauerhafte Fehlhaltung, also Vorneigung der Wirbelsäule, zu chronischen Rückenschmerzen. Besonders Tätigkeiten wie Staubsaugen, die mit einer Nach-vorne-Neigung einhergehen, sorgen also für Rückenschmerzen.
Sie plädieren also für größtmögliche Disziplin, was körperliche Betätigung angeht…
Niemand muss extrem streng mit sich selbst sein! Wichtig ist aber, seinen Körper nicht dauerhaft zu de-konditionieren. Spätestens im mittleren Lebensalter ist es deswegen wichtig, den berühmten inneren Schweinehund ein bisschen zu überwinden. Es geht darum, etwas für die eigene Muskulatur, die Körperhaltung, und eben gegen hohes Gewicht zu tun. Mein Appell: Aktivieren Sie sich selbst! Diesen Sprung hinzubekommen, das erfordert Überwindung. Das kann ich anhand meiner langjährigen Erfahrung als Arzt sagen. Aber extremes Übergewicht muss unbedingt abgebaut werden! Weil es sonst immer zulasten des Rückens und der Gelenke geht. Darüber hinaus führen chronische Rückenschmerzen auch sehr oft zu chronischen Schmerzen psychischer Art. Das dürfen wir nicht vergessen. Aus solch einer Abwärtsspirale erst einmal wieder herauszukommen, ist zugegebenermaßen wirklich schwierig. Und auch eine dauerhaft gesunde und ausgewogene Ernährung stellt für viele Menschen eine große Herausforderung dar. Ich meine damit nicht einmal notwendigerweise, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Aber eben: Rauchen einstellen! Möglichst wenig Alkohol! Und ein sorgsamer Umgang mit Süßem, also zum Beispiel mit Schokolade. Auch wenn die dauerhafte Umsetzung dieser Ziele schwierig ist: Bei vielen meiner Patientinnen und Patienten spüre ich zum Glück diese positive Energie, die ihnen dabei helfen kann, die Rückenschmerzen dauerhaft loszuwerden.
Ihr Experte bei Rückenbeschwerden:
Dr. Thilo Hennecke
Chefarzt der Klinik für Orthopädie am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder)