Auch wenn es heutzutage oft einfach erscheint, sich gesund zu ernähren: Dauerhaft bewusst zu essen und auf den eigenen Körper zu achten, bleibt für viele Menschen eine echte Herausforderung. Oder, wie Anja Dehl es formuliert: „In Deutschland ist in Sachen Ernährung noch sehr viel Luft nach oben!“
Sie muss es wissen: Als Diplom-Ökotrophologin und zertifizierte Ernährungsberaterin hilft sie ihren Patient:innen täglich dabei, gesünder zu leben. Nach Jahren im Krankenhausdienst leitet sie mittlerweile ihre eigene Praxis für Ernährungstherapie, die an das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) des Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder) angegliedert ist. Eine enge Zusammenarbeit besteht zudem mit der eigenständigen Medizinischen Klinik IV für Angiologie und Diabetologie von Chefarzt PD Dr. Kilian Rittig.
„Meine Aufgabe sehe ich nicht darin, anderen Menschen Ziele vorzugeben und ihnen Ess-Vorschriften zu machen“, sagt Anja Dehl im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog: „Der größte Erfolg ist, wenn sie selbst darauf kommen, wie sie gesünder leben können – und das mit Freude und in Eigenregie umsetzen.“
Im Interview erzählt die Expertin, warum sie zum bewussten Selberkochen und gemächlichen Essen rät, warum sie Smoothies weniger gut findet, und warum sie mit ihren Patient:innen regelmäßig Shoppen geht.
Frau Dehl, was ist das Hauptproblem hinsichtlich unserer aller Ernährung?
Viele Menschen nehmen sich viel zu wenig Zeit zum Essen. Auch wegen der allgegenwärtigen und oft irreführenden Werbung für diverse Lebensmittel und Getränke sind sie oft orientierungslos hinsichtlich einer wirklich gesunden Ernährung. Ein Übriges zur verfahrenen Situation steuert „Dr. Google“ bei: Im Netz kursieren unzählige falsche Informationen hinsichtlich eines gesunden Lebensstils. Viele Menschen sind also völlig „lost in space“.
Das ist schade, denn eigentlich ist es nicht wirklich schwer, ein wenig auf sich selbst und seinen Körper zu achten.
Wer nimmt denn Ihre Hilfe als Ernährungscoach hauptsächlich in Anspruch?
Es kommen sehr viele Menschen mit Diabetes, sowie auch Kinder und Jugendliche, die abnehmen möchten, an Essstörungen leiden oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen haben. Zudem sehe ich Menschen, die eine Magenverkleinerung vor oder hinter sich haben. Sie soll ich bei der Gewichtsabnahme unterstützen und begleiten.
„Gesund“ wird ja oft mit „vegetarisch“ oder „vegan“ gleichgesetzt. Zu Recht?
Viele Studien legen nahe, dass eine konsequente vegetarische, oder sogar vegane Ernährung sich positiv auf den Metabolismus, also den Stoffwechsel auswirkt. Sie hilft also gegen Übergewicht und Adipositas, oder auch Fettstoffwechselstörungen, Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck. Zudem ist erwiesen, dass der BMI, also der Index für die Körpermasse, bei all jenen Personen tendenziell geringer ist, die sich vegetarisch ernähren. Zudem sollte man an dieser Stelle erwähnen, dass der Konsum von rotem Fleisch mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht. Von daher bezeichne ich es gerne als „gesundheitserhaltend“, wenn man sich vegetarisch ernährt.
Was heißt das konkret für den Speiseplan?
Vegetarische Ernährung bedeutet in der Regel ein Mehr an Gemüse, Getreideprodukten, an Obst, Nüssen und Hülsenfrüchten. Das heißt in den meisten Fällen, dass diese Art von Ernährung quasi automatisch dazu führt, dass man weniger schlechte, also gesättigte, entzündungsfördernde Fettsäuren, und auch weniger Zucker zu sich nimmt. Zudem ist dann der Anteil an Ballaststoffen, an Vitaminen und Mineralstoffen, aber auch an sogenannten sekundären Pflanzenstoffen wesentlich höher. Außerdem hat die vegetarische Ernährung einen positiven Einfluss auf das Immunsystem – und ist insgesamt wesentlich gesünder als eine Ernährung, die auf viel Fleisch und Fleischprodukte setzt. Fairerweise muss man allerdings einräumen, dass es auch Studien gibt, die darauf hindeuten, dass ein Fleischkonsum in Maßen, den man sich neben der ansonsten vegetarischen Ernährung quasi „gönnt“, die Ernährung noch gesünder macht.
„Von allem ein bisschen“ bleibt also weiterhin der Königsweg!
Man hört immer wieder, dass bei rein veganer Ernährung Mangelerscheinungen auftreten können…
Bei Veganern fehlt das Vitamin B12, die Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Eisen, Jod, Kalzium und essentielle Aminosäuren. Ziel muss dann natürlich sein, diese und andere wichtige Stoffe über gesunde Lebensmittel zu decken bzw. anhand von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich zu nehmen. Das ist aber absolut kein Problem – und spricht nicht an sich gegen eine vegane Ernährung.
Fangen wir einmal ganz einfach an: Was ist der erste Schritt hin zu einer gesünderen Ernährung?
Zunächst einmal weg vom roten Fleisch! Darunter fällt unter anderem Rind-, Schweine- oder Lammfleisch. Einfach deshalb, weil es bekannt dafür ist, Entzündungen im Körper zu fördern. Stattdessen empfehle ich Geflügel-Fleisch. Wenn man dann noch beim Einkaufen auf ökologische Labels achtet, kann man sogar noch etwas für die Tiere und die Umwelt tun. Mittlerweile gibt es ja auch vegane Alternativen zu den herkömmlichen Fleischprodukten. Bekannt geworden sind sie hauptsächlich durch die veganen Burger aus Soja- oder Erbsenprotein. Mittlerweile sind die Produkte auch geschmacklich auf hohem Niveau angekommen, finde ich. Ich würde wirklich jedem empfehlen, einen solchen Burger einmal zu probieren. Oder ein Soja-Schnitzel. Mit solchen Produkten kann man seine eigene Ernährung relativ schnell sehr viel gesünder machen. Und ohne großen Verzicht.
Und sonst?
Menschen, die ihre Essgewohnheiten umstellen möchten oder müssen, sollten zunächst einmal prüfen, wie viel Obst und Gemüse sie zu sich nehmen. Häufig kommt es vor, dass zwar viel süßes Obst, aber sehr wenig Gemüse gegessen wird.
Wieviel ist ratsam?
Grundsätzlich würde ich zu drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag raten, am besten natürlich regional und saisonal. Durch diesen ersten Schritt bekommt man am besten eine gewisse Abwechslung in den eigenen Speiseplan. Als nächstes stellt sich die Frage, wie „aufgeschlossen“ die Person gegenüber Hülsenfrüchten, wie zum Beispiel Linsen, Erbsen oder Bohnen, ist. Sie sind nicht nur meist sehr preiswert, sondern auch geschmacklich sehr vielseitig. Insofern sage ich gerne, dass die vegetarische Ernährung zunächst einmal eine Erweiterung des eigenen Speiseplans ist. Und eben keine Einschränkung. Zudem liefert sie eine besondere Art von Lebensqualität, weil sich der Körper mit der gesunden Ernährung schlicht besser fühlt.
Soja-Schnitzel, Obst und Gemüse sind jetzt also auf dem Speiseplan. Was sollte noch drauf?
Im nächsten Schritt erkundige ich mich bei meinen Patient:innen, welche Art von Brot sie am liebsten mögen. Empfehlen kann ich in erster Linie Vollkornbrot, einfach wegen des hohen Mineralstoffgehalts. Wer auf Milchprodukte setzt, dem empfehle ich Kefir, der hervorragend für die Darmflora ist. Wer Joghurt mag, aber seinen Milchkonsum herunterschrauben möchte oder sollte, dem würde ich Pflanzen-Joghurts ans Herz legen. Sie sind sehr lecker und haben eine gesündere Zusammensetzung als Joghurts auf Milchbasis. Zum Beispiel enthalten sie mehr Eiweiß.
Was sagen Sie eigentlich zum Smoothie-Trend, also zu Getränken, in die quasi alles Mögliche hineingerührt wird?
Da bin ich kein großer Fan von, einfach deswegen, weil bei Getränken die Inhaltsstoffe kaum oder gar nicht gekaut werden. Und wer nicht kaut, setzt sich auch nicht in Ruhe auf einen Stuhl und isst. Sondern trinkt nebenbei, während des Surfens im Netz oder während des Fernsehens.
Also: Einfach mal hinsetzen und genießen?
Ganz genau. Ich rate dazu, sich zum Essen wirklich bewusst hinzusetzen, bewusst zu kauen, und das Essen einfach einmal zu genießen. Es ist weitaus mehr als Nahrungsaufnahme! Mango, Apfel und Paprika also einfach mal, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Zunge zergehen lassen! Dieses Genießen ist, meiner Ansicht nach, in unserer schnellen Gesellschaft zunehmend seltener geworden. Und das ist schlicht ungesund. Ganz abgesehen von diesem Aspekt enthalten obstlastige Smoothies oft extrem viel Kalorien aus Zucker. Deswegen also lieber zwei Portionen frisches Obst in aller Ruhe kauen! Oder es mit Nüssen und Haferflocken gemischt genießen. In diesem Fall ist der Sättigungseffekt auch wesentlich länger anhaltend als bei Smoothies.
Und wie erreichen Sie passionierte Fleischesser?
Bei Menschen, die täglich Fleisch essen, ist ein erster Schritt, sie dazu zu bewegen, das nur noch vier Mal pro Woche zu tun. Stattdessen öfter mal Fisch oder etwas Vegetarisches. Und mit der Zeit kann man den Fleischkonsum dann noch weiter herunterfahren. Das bedeutet für viele Menschen schon ganz automatisch eine Erweiterung des Speiseplans – und überhaupt auf neue Ideen zu kommen, was man alles essen kann.
Was man am Ende isst, entscheidet sich schon beim Einkaufen…
Natürlich. Deswegen treffe mich mit vielen Patient:innen direkt in ihrem Lieblingssupermarkt. Und dann gehen wir gemeinsam gesund Shoppen. Das ist bei allen sehr beliebt. Ich gebe Orientierung bei der Lebensmittelauswahl, der Zusammensetzung – immer unter Berücksichtigung des Preises.
Ihre Expertin für eine gesunde Ernährung:
Anja Dehl
Diplom-Ökotrophologin (FH), Ernährungsberaterin (DGE), Diabetesassistentin (DDG), Leiterin der Praxis für Ernährungstherapie, angegliedert an das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) des Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder)