Von Schilddrüsenerkrankungen sind schätzungsweise 200 Millionen Menschen weltweit betroffen. Meist liegt eine Über- oder eine Unterfunktion des kleinen, schmetterlingsförmigen Organs, das unterhalb des Kehlkopfes im Hals liegt, vor.Bei einer Überfunktion leiden Patienten oftmals unter innerer Unruhe, Schwitzen und einem beschleunigten Puls. Häufig ist ihnen zu warm. Schwieriger ist es schon, eine Unterfunktion anhand der Symptome aufzudecken. Denn Abgeschlagenheit, Müdigkeit, depressive Stimmungsschwankungen oder eine Gewichtszunahme können auch ganz andere Ursachen haben.
Die Frage, ob die Schilddrüse die Ursache für diese Beschwerden ist, oder eben nicht, ist deswegen nicht immer einfach zu beantworten. „Das liegt daran, dass die Schilddrüse ein Organ ist, das in alle Stoffwechselprozesse mit eingreift“, sagt Privatdozent Dr. Knut Liepe.
Als Chefarzt der Nuklearmedizin am Klinikum Frankfurt (Oder) ist er unter anderem ausgewiesener Experte für Erkrankungen der Schilddrüse. Rund 1000 Patienten aus dem In- und Ausland suchen ihn jedes Jahr auf. „Wir Nuklearmediziner sind die Generalisten , was die Schilddrüse angeht“, sagt er im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog: „Das kann in dieser Form kein anderes Fachgebiet anbieten.“ Schilddrüsenerkrankungen seien gut zu behandeln, sagt er: „Die Medizin ist auf unserem Gebiet sehr weit.”
Herr Dr. Liepe, wer ist denn besonders gefährdet, Probleme mit seiner Schilddrüse zu bekommen?
Bei älteren Patienten liegt bei gut jedem Zweiten eine Auffälligkeit vor, während die Rate unter den 20- bis 30-Jährigen nur bei etwa 10 bis 20 Prozent liegt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, dies hat eine Studie mit Bezug auf Deutschland ergeben.
Wie entstehen Probleme mit der Schilddrüse denn grundsätzlich?
Diese hängen in erster Linie mit der Jodversorgung zusammen. Jod ist für die Produktion der Schilddrüsenhormone notwendig, und ein Mangel, vor allem in der Jugend, führt zu einer Knotenbildung sowie einem Wachstum und damit zu einer Vergrößerung der Schilddrüse, Struma genannt. Bis vor zehn Jahren war Deutschland noch ein sogenanntes „Jod-Mangel-Gebiet Grad II“. Mittlerweile sind wir dank der Jodierung von Salz nur noch ein „Jod-Mangel-Gebiet Grad I“. Grundsätzlich sind wir also in einem Bereich angelangt, in dem Schilddrüsenerkrankungen deutlich sinken.
Von welcher Menge Jod sprechen wir, die man täglich zu sich nehmen sollte?
Der durchschnittliche Deutsche nimmt 120 Mikrogramm Jod pro Tag zu sich, empfohlen werden 180-200 Mikrogramm.
Erkrankungen der Schilddrüse treten sehr häufig auf. Wie stellen Sie Ihre Diagnose?
Anhand eines Blutwertes. Gemessen wird zunächst der Botenstoff TSH. Dieser wird von der Hirnanhangsdrüse ausgeschüttet und stimuliert die Schilddrüse. Fällt der Hormonspiegel im Blut ab, wird vermehrt TSH freigesetzt und die Schilddrüse zur Hormonproduktion angeregt. Bei einer Überproduktion der Hormone sinkt die TSH-Produktion, und die Schilddrüse produziert weniger Hormone.
Unterschieden wird zwischen einer Unter- und einer Überfunktion der Schilddrüse…
Eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose), also ein sehr niedriger TSH-Wert und erhöhte Schilddrüsenhormone, sollte unbedingt behandelt werden. Vor allem ältere Patienten könnten sonst Herzrhythmusstörungen oder eine Gewichtsabnahme entwickeln. Ist ein Morbus Basedow die Ursache der Überfunktion, genügt manchmal nur die vorübergehende Einnahme von Medikamenten, die die Hormonausschüttung bremsen. Hier kommt es, ohne weitere Therapie, bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten zu einer Normalisierung des Stoffwechsels. Sollte, trotz der Therapie, nach 1-2 Jahren weiterhin eine Hyperthyreose bestehen, können eine Radiojodtherapie oder eine Operation eine Lösung bieten.
Wie sieht es bei einer festgestellten Unterfunktion aus?
Diese sollte, besonders bei Beschwerden, mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden. Bei älteren Patienten kann es vorkommen, dass die Symptome einer Unterfunktion falsch gewertet werden. Charakteristisch für eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) ist ein schleichender, lang anhaltender Verlauf. Sie verursacht vor allem zu Beginn meist nur geringe Beschwerden. Für eine Schilddrüsenunterfunktion typische Anzeichen sind beispielsweise extreme Müdigkeit, depressive Verstimmung, Kälteempfindlichkeit und Gewichtszunahme. Bei einer ausgeprägten Hypothyreose kann zudem auch das Symptom eines geschwollenen Gesichtes beobachtet werden.
Was konkret erwartet einen Patienten, der zu Ihnen kommt?
Zunächst muss ich prüfen, was die Ursache für die Erkrankung ist. Hierfür messen wir die peripheren Schilddrüsenhormone und bestimmen den TSH-Wert, um eine leichte oder schwere Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse auszuschließen. Dann prüfen wir durch eine Bestimmung von Antikörpern, ob eine Immunentzündung vorliegt. Zudem bekommt jeder Patient eine Ultraschall-Untersuchung.
Was wollen Sie damit herausfinden?
Ob Knoten oder eine vergrößerte Schilddrüse vorliegen. Werden Knoten gefunden, sollte deren Stoffwechsel untersucht werden. Hierzu spritzen wir ein leicht radioaktives Medikament.
Ihre Klinik bietet also die komplette Diagnostik an…
Mit der sogenannten Szintigrafie ist die Nuklearmedizin als einziges Fachgebiet in der Lage, die Funktion eines solchen Knotens beurteilen können. Neben der Diagnostik können wir mit der Radiojodtherapie in vielen Fällen eine Heilung der Schilddrüsenerkrankung erreichen. Die Radiojodtherapie muss allerdings stationär durchgeführt werden.
Was empfehlen Sie zur Vorsorge?
Ich empfehle allen Menschen ab 50 Jahren, alle zwei Jahre den TSH-Wert bestimmen sowie eine einmalige Ultraschalluntersuchung durchführen zu lassen, da ab diesem Alter etwa 10 Prozent der Menschen von einer zumindest latenten Schilddrüsenerkrankung betroffen sind.
Gibt es hinsichtlich einer gesunden Ernährung Tipps, um Schilddrüsenerkrankungen gezielt vorzubeugen?
Grundsätzlich empfehle ich eine jodhaltige Ernährung. Am jodhaltigsten sind grundsätzlich Meerestiere, vor allem Muscheln und Scampi. Zudem empfehle ich den Verzehr von Meersalz, da dies neben Jod auch noch andere Mineralien enthält und auch deutlich besser schmeckt.
Was ist, wenn man zu viel Jod isst?
Das ist kein Problem, der Körper scheidet das überschüssige Jod wieder aus. Eine Ausnahme stellt hier die Überfunktion der Schilddrüse dar.
Ihr Experte bei Problemen mit der Schilddrüse
PD Dr. Knut Liepe,
Chefarzt der Klinik für Nuklearmedizin am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder)