Inkontinenz – So handeln Sie richtig

Inkontinenz – So handeln Sie richtig

Weltweit ist eine wachsende Zahl von Menschen von Inkontinenz betroffen. Studien sprechen von mehr als fünf Millionen allein in Deutschland, die die Ausscheidung von Urin zumindest teilweise nicht kontrollieren können.

Betroffene wissen: Inkontinenz kann nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. So vermeiden viele unter ihnen aus Scham oder Unsicherheit sogar, aus dem Haus zu gehen. Dabei wäre der Gang zum Arzt in vielerlei Hinsicht das Allerbeste.

Um die vielfältigen Problematiken, die mit der Erkrankung einhergehen, weiß auch Professor Dr. Florian Wagenlehner. Er ist Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht er über die Ursachen von Inkontinenz und über sinnvolle Therapiemöglichkeiten. Mitgeben muss man den Patienten, dass in den allermeisten Fällen eine zufriedenstellende Therapie möglich ist, sagt der Experte.

Herr Professor Wagenlehner, rund fünf Millionen Menschen allein in Deutschland sollen an Inkontinenz leiden…

Das kann durchaus stimmen, und es gibt auch sicherlich eine große Dunkelziffer. Einfach weil das Ganze immer noch eine Art Tabuthema ist. Leider. Fakt ist auch, dass das Problem mit dem Alter weiter zunimmt.

Welche Arten von Inkontinenz kennt die Medizin?

Sehr verbreitet ist die sogenannte Belastungsinkontinenz. Das ist ein Defekt in der Aufhängung der Harnröhre. Wenn sie ausgeprägt ist, kann man sie mit einem operativen Eingriff sehr gut in den Griff kriegen. Gut bewährt haben sich hier Bänder, die unter der Harnröhre eingezogen werden. Wir sprechen hier von einer Erfolgsrate von weit über 90 Prozent.

Häufig hört man auch von der Dranginkontinenz

Die ist schon etwas schwieriger zu behandeln. Sie kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel einen Beckenbodendefekt. Auch hier kann ein operativer Eingriff allerdings durchaus zum Erfolg führen. Und dann besteht auch die Möglichkeit, dass die Blase selbst erkrankt ist. Diabetes mellitus kann zum Beispiel zu diesem Problem führen, oder auch Entzündungen. Häufig können wir auch feststellen, dass sowohl die Aufhängebänder der Harnröhre defekt sind, als auch mit der Harnblase etwas nicht stimmt.

Wie gehen Sie in solchen Fällen grundsätzlich vor?

Hier ist es wichtig, sehr detailliert zu prüfen, wie man am besten behandeln kann. Nicht immer ist eine Operation automatisch die beste Option.
Heute machen wir viele Dinge multimodal. Man bespricht mehrere Module mit den Patienten. Diese werden dann zeitgleich oder zeitversetzt anwendet.

Das heißt konkret, dass man zum Beispiel die Belastungsinkontinenz operativ therapiert, und die Drangbeschwerde-Symptomatik mit Medikamenten, oder einen Blasenschrittmacher zusätzlich einsetzt.

Frauen sind besonders häufig von Inkontinenz betroffen.

Inkontinenz bei der Frau ist eine Ausprägung einer Beckenboden-Dysfunktion. ?Neben der Inkontinenz gibt es häufig auch Beschwerden beim Wasserlassen, und oftmals auch Probleme beim Stuhlgang.

Wie ist da der Ablauf? Was tun Sie, wenn ein Patient sich bei Ihnen vorstellt?

Wir fangen mit einer reinen sogenannten Anamnese an, erheben also anhand eines Fragebogens die Krankheitsgeschichte des Patienten. Oftmals kann ich schon anhand der Antworten auf bestimmte Fragen bestimmte Krankheitsbilder ausschließen. Manchmal wird hierdurch auch ein Verdacht geweckt. Ganz konkret können wir Ärzte anhand dieses Vorgehens zum Beispiel feststellen, dass es Probleme mit dem Beckenboden gibt. Und manchmal auch, wo genau dort die Probleme auftreten. Das ist der erste Schritt.

Als nächstes folgt eine detaillierte Untersuchung des Beckenbodens. Danach können wir schon ziemlich gut einschätzen, ob ein anatomischer Defekt vorliegt. Und wenn man diesen Defekt behebt, ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Linderung der Problematik zu erwarten.

Wie lange dauert eine solche Untersuchung?

Das geht ziemlich schnell. Fragebogen ausfüllen und Untersuchung, also die ersten beiden Schritte, sind in gut einer Stunde zu schaffen.

Hin und wieder liest man auch von einem Trinkprotokoll, das Patienten mitgegeben wird…

Wenn eine Patientin zum Beispiel sagt, dass sie nachts sehr häufig auf Toilette muss, geben wir ihr oftmals ein sogenanntes Miktions- und Trinkprotokoll mit. Sie schreibt hier über 24 oder 48 Stunden in einer Art Tagebuch auf, wieviel sie trinkt, zu welcher Zeit, wie häufig sie auf Toilette gehen muss, und welche Volumina die jeweiligen Toilettengänge haben. Hintergrund ist, dass manchmal tatsächlich Trinkgewohnheiten die Ursache des Problems sind. Und die könnte die Patientin dann natürlich verändern.

Was raten Sie als Experte Betroffenen, die mit einer Inkontinenz zu Ihnen kommen?

Die Problematik gehen wir sehr individuell an. Leider ist die Diskussion in der Öffentlichkeit mittlerweile sehr emotional, auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Operationsmethoden. Manche Patienten wissen dann oft gar nicht mehr, was sie denken sollen.

Als erstes wird eine detaillierte Voruntersuchung durchgeführt. Denn wichtig ist natürlich immer, zu wissen, was genau die Ursache ist. Nur so kann man als Arzt zielgerichtet arbeiten.

 

Florian Wagenlehner, UKGM

Ihre Experte für Inkontinenz:


Prof. Dr. Florian Wagenlehner
Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg