Sowohl die Neurodermitis, medizinisch atopisches Ekzem genannt, als auch die Schuppenflechte sind Entzündungskrankheiten der Haut, die zu Rötungen und zu Schuppung führen. Da oftmals Menschen ähnlichen Alters betroffen sind, kommt es bisweilen zur Verwechslung.
„Vom Entzündungsmuster und von der Behandlung her sind es allerdings unterschiedliche Erkrankungen”, sagt Professor Dr. Michael Hertl, Direktor der auf beide Erkrankungen spezialisierten Hautklinik des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg.
Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog erklärt der Experte, woran man Neurodermitis und Schuppenflechte erkennt und wie man sie bestmöglich behandelt.
Herr Professor Hertl, zunächst einmal zur Neurodermitis. Wer ist von der Krankheit hauptsächlich betroffen?
Die Neurodermitis ist eine Erkrankung, die schon mit Ekzemen im Säuglingsalter oder der frühen Kindheit beginnen kann, sich in der Regel bis zur Pubertät hinzieht, und dann auch weitergehen kann. Oftmals ist es so, dass Patienten aufgrund einer genetischen Veranlagung Heuschnupfen und/oder Asthma entwickeln. Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen die Neurodermitis erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter auftritt.
Welche Rolle spielt die erbliche Komponente?
Die sogenannte Atopie, also die Neigung zu Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma, hat zur Folge, dass das Immunsystem mehr als gewöhnlich auf Umweltfaktoren, wie Tierhaare, Pollen, Hausstaub, oder bei Kindern auch Nahrungsmittel wie Hühnereiweiß, Milcheiweiß oder Erdnüsse, reagiert. Deswegen können Neurodermitis und Heuschnupfen zusammen oder auch versetzt auftreten. Auch kann es vorkommen, dass aus der Neurodermitis ein Heuschnupfen oder ein Asthma wird.
Wie lange leiden Betroffene durchschnittlich unter einer Neurodermitis?
Prinzipiell kann sie einen Menschen sein ganzes Leben lang begleiten. Die Stärke der Ausprägung ist zu verschiedenen Zeiten des Lebens oft unterschiedlich.
Woran erkennen Sie als Spezialist die Neurodermitis?
Die Medizin hat mittlerweile gute Möglichkeiten, die Krankheit anhand von klinischen Zeichen wie etwa der Trockenheit der Haut oder juckenden, geröteten Hautstellen, meist an den Armbeugen, Kniekehlen sowie dem Kopf- und Halsbereich, festzumachen. Bei ganz kleinen Kindern kann auch der ganze Körper betroffen sein. Natürlich ist es für uns hilfreich zu sehen, ob das Kind Heuschnupfen oder Asthma hat. Wir Hautärzte stellen uns Fragen wie: Haben auch die Eltern Symptome aus diesem sogenannten atomischen Formenkreis? Gibt es Geschwister, die ähnliche Beschwerden haben? Gibt es Hinweise auf eine Nahrungsmittelallergie, vor allem bei Kindern?
Gibt es denn eine Art von „Heilmittel“ gegen Neurodermitis?
Von „Heilung“ zu sprechen, ist immer schwierig. Sagen lässt sich allerdings, dass wir gute Möglichkeiten haben, den Betroffenen zu helfen, mit ihrer Krankheit langfristig zurechtzukommen. Ihr Verlauf ist, wie gesagt, von Patient zu Patient sehr unterschiedlich.
Wie verläuft die Therapie?
Wir haben ganz klare Behandlungsansätze, die darauf abzielen, dass die Haut gut gepflegt wird. Diese sogenannte Basispflegetherapie ist sehr wichtig, weil die meisten Betroffenen in ihrer Haut einen Mangel an dem haben, was man als „Kittsubstanz“ bezeichnen könnte. Sie leiden also meist an einer trockenen, etwas porösen Haut, die leicht austrocknet. Grund dafür ist, dass das Fehlen dieser Kittsubstanzen, welche die Haut abdichten, erblich bedingt ist.
Es geht also in erster Linie um eine gute Pflege der Haut?
Die ist sehr wichtig, je nach Jahreszeit mit mehr oder weniger fettenden Cremes als Grundlage. In der akuten Phase gibt es zudem einen festen Therapieplan. Hier gibt es zum Beispiel eine Kortison-Behandlung, die auf Entzündungshemmung abzielt. Sind Bakterien auf der Haut oder leidet der Betroffene an Juckreiz, so lässt sich auch das behandeln. Zudem gibt es Medikamente, die Anteile des Immunsystems, die für die Enstehung der Ekzeme verantwortlich sind, unterdrücken. Wir können auch äußere Faktoren identifizieren, etwa Allergien auf Tierhaare, Pollen oder Haustaub. Solche also, die nach Möglichkeit vermieden werden sollten, damit sich das Ekzem nicht verschlechtert.
Was können Eltern tun, wenn ihre Kinder an Neurodermitis leiden?
Für die Eltern von betroffenen kleinen Kindern gibt es zum Beispiel Schulungsmaßnahmen über die sogenannte Neurodermitis-Akademie, zu der auch unsere Klinik gehört. Hier geht es um Hilfe zur Selbsthilfe, damit die Patienten oder deren Angehörige lernen, richtig mit der Haut umzugehen. Es sind meist Wochenendkurse, die in Marburg und Gießen angeboten werden.
Ist die Neurodermitis auch eine Reaktion auf psychische Probleme?
Natürlich spielt auch bei der Haut auch die Psyche eine große Rolle. Aber man kann den Grund für das Ausbrechen der Krankheit nicht nur auf die Psyche reduzieren, sie ist lediglich ein oftmals verstärkender Faktor. Dass sich die Haut in Stresssituationen verschlechtert, ist allerdings häufig zu beobachten. Und auch hier muss eine Therapie natürlich ansetzen. Fakt ist auch: Neurodermitis und auch die Schuppenflechte sind natürlich Krankheiten, die gerade durch den Juckreiz und die Rötung und Schuppung der Haut stigmatisierend sein können, weil sie nach außen hin sichtbar sind. Diese Erkrankungen beeinträchtigen daher ganz erheblich die Lebensqualität der betroffenen Patienten.
Viele Patienten mit Neurodermitis probieren verschiedene Cremes aus, auf der Suche nach einer, die bestmöglich hilft…
Die Betroffenen probieren Vieles aus, auch solches, was nicht immer gut ist, also nicht hilft. Oftmals werden Heilprodukte, also etwa natürliche Kräuterextrakte, verwendet. Doch man muss sagen, dass gerade durch die gestörte Hautbarriere Allergien gegen Bestandteile solcher Cremes entwickelt werden können. Die Haut ist also undicht, auch für Substanzen, die eigentlich nicht in die Haut gehören. Naturprodukte neigen eher als synthetische Produkte, dazu, Allergien zu erzeugen. So widersinnig das klingt: Wir empfehlen gerade nicht, Naturprodukte zu verwenden, sondern eher synthetische Pflegegrundlagen, zum Beispiel Mineralölprodukte, die nichts enthalten, worauf der Patient Allergien entwickeln könnte.
Wann verschreiben Sie Kortison-Cremes?
Diese sind dann sinnvoll, wenn es sich um ein ganz akutes entzündliches Ekzem handelt. Hier geht es darum, einen Teufelskreis zu durchbrechen, der aus der Hautrötung mit Juckreiz besteht. Dieser führt zum Kratzen, und das wiederum verstärkt die Hautentzündung. Um diesen Kreislauf zu unterbrechen, sind Kortison-Cremes in der Akutphase für eine kurze Zeit sehr hilfreich. Im Gesicht ist man da vorsichtiger, weil dort die Haut dünn ist. Hier verwenden wir schwächere Kortison-Cremes als am Körper. Es gibt auch kortisonfreie Cremes, die entzündungshemmend wirken. Ein Problem ist, wenn Kortison über eine längere Zeit auf die Haut aufgetragen wird. Denn dann wird die Haut dünn.
Ist in absehbarer Zeit eine Verbesserung im Hinblick auf die Behandlung von Neurodermitis zu erwarten?
Wir verstehen immer mehr über die Abläufe der Entzündung. Medizinisch nennen wir das Pathogenese. Wir wissen mittlerweile, was das Immunsystem tut, damit es zur Entzündung der Haut kommt. Es gibt schon neue Ansätze, die ganz gezielt bestimmte Faktoren des Immunsystems, bestimmte Botenstoffe hemmen – und damit zu einer Besserung führen. Ein in dieser Form wirkendes Medikament ist erst im vergangenen Jahr zugelassen worden. Wichtig ist hier, dass das Immunsystem nicht auf breiter Basis unterdrückt wird, sondern sehr spezifisch.
Jetzt zur Schuppenflechte. Wann tritt diese meist auf?
In der Regel später als die Neurodermitis. Auch hier spielt eine erbliche Komponente eine große Rolle. Wenn ein Elternteil eine Schuppenflechte hat, ist das Risiko für die Kinder schon viermal so hoch wie bei der Vergleichsbevölkerung. Wenn beide Elternteile eine Schuppenflechte haben, sogar achtmal so hoch.
Worunter leiden von einer Schuppenflechte Betroffene?
Sie haben eine Entzündung in der Haut, die sich vermutlich gegen dort befindliche bestimmte Eiweiße richtet. Wir sprechen auch von einer sogenannten Autoimmunerkrankung.
Was ist die Ursache für die Krankheit?
Die kennt man bislang nicht.
In ungefähr 30 Prozent der Fälle soll nicht nur die Haut, sondern auch die Gelenke betroffen sein…
Das ist richtig. Diesen möglichen Befall der Gelenke gezielt auszuschließen, ist wichtig, wenn man als Arzt einen Patient mit Schuppenflechte vor sich hat. Einfach deswegen, weil man, sollten die Gelenke befallen sein, mit einer äußerlichen Behandlung nicht den gewünschten Erfolg erreicht. Dann ist auch eine innere Behandlung nötig, damit es nicht zu langfristigen Schäden kommt.
Wo sieht man die Entzündung?
Bei der Schuppenflechte hat man ein anderes Verteilungsmuster der Hautentzündung als bei der Neurodermitis. Hier sind eher die Streckseiten von Armen und Beinen betroffen und die hintere untere Rückenpartie oberhalb des Gesäßes. Außerdem ist häufig der behaarte Kopf betroffen sowie die Fingernägel. Das alles sind also erste orientierende Hinweise auf eine Schuppenflechte.
Gibt es Unterschiede zwischen Neurodermitis und Schuppenflechte hinsichtlich der Art der Entzündung?
Bei der Schuppenflechte ist die Entzündung der Haut meist ausgeprägter. Die Haut ist also sehr viel dicker, weil sie durch die Entzündung schneller wächst und stärker schuppt.
Sind von den beiden Krankheiten eher Frauen oder Männer betroffen?
Die Verteilung ist relativ gleichmäßig. Bei der Schuppenflechte gibt es etwas mehr betroffene Männer.
Wann tritt die Schuppenflechte auf?
Meist im jugendlichen Alter, in der zweiten Hälfte der Pubertät. Sie kann allerdings durchaus auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter einsetzen. Sie beginnt also in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre später als die Neurodermitis. Die Kombination von Schuppenflechte und Neurodermitis ist übrigens selten, sie findet sich in höchstens fünf Prozent der Fälle. Der Grund dafür: Diejenigen Entzündungsfaktoren im Immunsystem, die zur Schuppenflechte führen, spielen bei der Neurodermitis keine Rolle, und andersherum ebenso.
Aber eine zweifelsfreie Diagnose ist immer möglich?
Manchmal muss man eine Gewebeprobe machen, um die Schuppenflechte von der Neurodermitis abzugrenzen. Gerade dann, wenn die gesamte Haut gerötet ist.
Wie würden Sie als Hautarzt Ihre Rolle bei der Therapie beschreiben?
Die Herausforderung besteht darin, für jeden Patienten individuell die beste Lösung zu finden. Das mag eine örtliche Behandlung sein, mit einmal mehr oder einmal eher weniger pflegenden Cremes. Je nach Situation, also auch dem Alter des Patienten, muss es allerdings eventuell auch eine sogenannte Systemtherapie geben, eine innerliche Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten oder Antikörpern, sowohl bei der Neurodermitis als auch bei der Schuppenflechte.
Wie erfolgsvorsprechend ist denn eine Behandlung der Schuppenflechte aktuell?
Wir haben mittlerweile gute Möglichkeiten, die Symptome der Krankheit anhand einer Antikörperbehandlung um 80 bis 90 Prozent zu verbessern. Dabei handelt es sich um eine innere Behandlung mit Substanzen, die ganz gezielt Entzündungsstoffe hemmen. Das sind Erfolge, von denen man bei anderen Entzündungskrankheiten des Körpers nur träumen kann.
Wie hoch ist die Erfolgsquote bei der Neurodermitis?
Hier lässt sich nicht von 80 bis 90 Prozent Behandlungserfolg sprechen, der Verlauf der Krankheit ist schwankender als bei der Schuppenflechte. Grundsätzlich sind wir froh, wenn wir 60 bis 80 Prozent unserer Patienten stabilisieren können. Allerdings gibt es auch bei der Neurodermitis mittlerweile eine vielversprechende neue Behandlung mit Hilfe von Antikörpern, die die Erfolgschancen der Therapie weiter erhöhen könnte.
Ihr Experte für Hautkrankheiten:
Prof. Dr. Michael Hertl
Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg